Das Auenland in Bulgarien

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Unser Eindruck von Bulgarien, wo noch bei der Einreise alles etwas trostlos und verlassen wirkte, ändert sich je tiefer wir in das Land eintauchen. Wunderschöne und abwechslungsreiche Landschaften, die uns wegen der vielen Hügel und Berge viele Tropfen Schweiß kosten, machen die Fahrt interessant. Die Menschen am Straßenrand, Bier trinkende Männer, Pferdekarren mit Fahrer, arbeitende Menschen und alte Frauen, erwiedern unsere Grüße freundlich und machen den Eindruck als wären sie mit ihrem Leben sehr zufrieden. Die Menschen sind arm und haben nicht viel Besitz, aber sie sind glücklich, das zählt mehr als jeder Materialismus.

Zwei nette Bulgaren treffen wir beim Autoputzen an einem der zahlreichen Wasserhähne, die mit erstklassigem Trinkwasser aus Gebirgsbächen gespeist werden. Mit Freude posieren sie vor Thomas' Fahrrad.

Besichtigung der 2500m langen Höhle Magura in Nordbulgarien

Blick über die Autobahn auf schneebedeckte Berge an einem tristen Morgen

Ich beginne zu bemerken, wie sich die Intensität meiner Träume verändert, sie beinhalten viele unterschiedliche Themen und Personen, ganz im Gegenteil zum Schlaf in heimischen Gefilden. Alles wirkt intensiver, ausgeschmückter und die Erinnerung an die Träume bleibt erhalten – auch das ist mir neu.
Eine andere Veränderung, die zwar nur subjektiv ist und sich spontan schwer messen lässt, ist dass meine Augen wieder besser sehen. Eigentlich bräuchte ich eine Brille, aber als Lesehilfenverweigerer bin ich auch ohne bisher ganz gut klar gekommen. Zuhause zeigen sich die Probleme beim Ablesen von Schildern oder Anzeigetafeln. Nun beim Unterwegssein scheint es als könnte ich wieder schärfer sehen.
Ich frage mich, ob diese Veränderungen etwas mit der Naturverbundenheit zu tun haben, mit den vielen Eindrücken und den schönen Landschaften, die wir jeden Tag auf’s Neue erblicken dürfen. Kann es sein, dass unsere körperlichen Fähigkeiten im industriealisierten Deutschland beim Büroalltag abstumpfen und nur darauf warten wieder reanimiert zu werden?
Ich jedenfalls freue mich, dass ich neben interessanten Erfahrungen und Erlebnissen auf einer anderen Ebene offensichtlich noch mehr von der langen Reise profitieren kann als ich erwartete.

Nach einem sonnigen Tag erreichen wir Pazardzhik im Süden Bulgariens, direkt am Fuße des Rhodopen-Gebirges. Die Stadt lässt sich in ihrem wundervollen Panorama bereits von Weitem erkennen.
Wir bereiten uns mental auf den folgenden Tag vor, denn er bildet mit einem Aufstieg von 200m auf 1680m mit 55km Steigung ohne Unterbrechung eine ordentliche Herausforderung.
Etwa auf der Hälfte des Anstiegs treffen wir einen anderen Reiseradler, den ersten bisher. Daniel aus dem Baskenland ist zwei Woche in Bulgarien unterwegs und hat schon zuvor viele Radtouren im Ausland unternommen.
Langsam kriechen wir den Berg hinauf und entdecken bald den ersten Schnee. Uns wird berichtet, dass es noch vor zwei Tagen hier geschneit hat und die Straßen unpassierbar waren. Ein ziemliches Glück für uns, denn wir fahren nun mit kurzen Ärmeln und sehen links und rechts neben der Straße noch die durchgehende Schneedecke. Lediglich das Tauwasser auf der Straße bereitet uns kleine Probleme.

Anschauliche Winterlandschaften neben dem Weg. Trotzdem ist Tauwetter angesagt und die Temperaturen sind T-Shirt-tauglich.

Golyam Beglik Stausee auf 1524m Höhe

Als wir den Gipfel erreichen, sind wir froh, aber noch nicht erschöpft. Wir bewegen uns für einige Zeit auf dieser Höhe und sehen märchenhafte Gebirgsseen und Kuhherden, die zufrieden am saftig-grünen Gras herumkauen.

Wir fahren den Rest des Tages bergab und im Nachhinein würde ich sagen es war der Beeindruckendste bisher. Immer wechselnde Landschaften und Panoramen verleiten uns dazu fast ständig anzuhalten, um die Eindrücke irgendwie festzuhalten.

Blick auf die Stadt Dospat

Ich genieße diesen Tag so außerordentlich, dass ich bei der Fahrt durch einen Nadelwald mit tiefem Einatmen des Geruches und dem Bewusstmachen unserer priviligierten Freiheit irgendwie versuche den Moment einzufangen. Einfach speichern und irgendwann, wenn es mal zuhause oder anderswo nicht so gut ist, einfach wieder reinladen. Wäre das nicht schön?

In der Dämmerung passieren wir den Grenztunnel nach Griechenland. Wir haben einen harten Tag hinter uns und sind überglücklich als wir ein Hotel in Kato Nevrokopi 15 km hinter der Grenze erreichen. Die Stimmung wird durch Ouzo, der uns bei der Ankunft spendiert wird, und reichlich Tsatsiki weiter aufgehellt. Die Griechen sind gewohnt herzlich und ich freue mich, dass wir hier angekommen sind, denn das mediterrane Flair ist eine gelungene Abwechslung zum teils tristen Ambiente des sowjetisch angehauchten Osteuropa.

Wir fahren weiter und erreichen an einem sonnigen, wenig anstrengenden Tag das Ägäische Meer bei Kavala. Es ist ein atemberaubend schönes Gefühl die letzten Meter des Berges vor dem Meer zu überwinden und mit jedem Pedaltritt ein Stück mehr zu erkennen, wenn man über die Kuppe hinwegsieht.
Wir fahren hinunter nach Kavala auf einen Campingplatz direkt am Meer. Wenn wir aus dem Zelt schauen, sehen wir die Insel Thassos. Faszinierend, wir sind jetzt dort angekommen, wo andere Menschen Urlaub machen.

Camping mit Meerblick bei Kavala

Ich konnte es mir nicht nehmen lassen in das ziemlich kalte, aber kristallklare Ägäische Meer zu springen


2 Kommentare zu diesem Artikel

  1. Hallo ihr Beiden!
    Wieder einmal wunderbare und ausführliche Berichte. Und wie immer fiebere ich jeden Tag mit und warte auf Neuigkeiten von Euch :) Ich bin echt angetan, wie gut ihr das meistert… Jetzt erstmal in Griechenland nen schön hartzigen Retzina trinken und weiter aufs Ziel zu!
    Ihr macht das Jungs!!! Ich finds KLASSE!!!!

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