Wie der Prinz von Persien

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Zu der alltäglichen Routine des Radreisenden gehört neben essen, trinken und radeln auch die Schlafplatzsuche. Wir haben die Optionen in ein Hotel oder eine Pension zu gehen oder wild zu zelten. Campingplätze gibt es auf unserer Route schon lange keine mehr.
Selbst die Hotelsuche in Städten gestaltet sich einigermaßen schwierig. Unterkünfte sind genau wie alles andere in schnörkeligen Lettern beschriftet, die wir nicht lesen können (meine anfänglichen Versuche das Persische Alphabet zu lernen habe ich aufgegeben – 32 “Buchstaben”). Manchmal fehlt auch jeder Hinweis. So läuft es meist darauf hinaus, dass wir Leute an der Straße fragen und nur einige Sekunden später bildet sich eine Menschentraube um uns. Irgendwer kann meist ein paar Brocken Englisch und es wird wild gestikuliert und gedeutet. Manchmal eskortiert uns ein Auto zum meist überteuerten Hotel. Wenn wir versichern, dass wir wirklich keinen Luxus benötigen, bringt man uns zum örtlichen Mosaferkhaneh (simple, sehr einfache Unterkunft für Reisende (mosafer)).

Der größte überdachte Basar der Welt

Kartoffeln mit Ei im Fladenbrot, ein Trucker-Essen an der Hauptstraße bei Tabriz

An anderen Tagen bauen wir zusammen mit Alfred aus der Schweiz eine kleine Zeltstadt auf. Mit seinem Gaskocher in der Mitte bereiten wir uns abermals aus einem Kilo Nudeln, Zwiebeln, Paprika und Tomatensauce ein Mahl, das durch nichts anderes zu ersetzen wäre. Wie sehr man alltägliche Dinge wie Nudeln oder Schwarzbrot vermissen kann, wird jetzt erst richtig deutlich.

Nudeln mit Granatapfelbier (natürlich alkoholfrei)

Aus diesem Abend zwischen Birken an einem Bach in wunderschöner Idylle wird in der Nacht ein Albtraum. Ein Gewitter, das seinesgleichen sucht, zieht auf und es hört bis zum nächsten Mittag nicht mehr auf wie aus Strömen zu regnen.
Mein Körper ist noch immer nicht richtig fit und diese Nacht ist wenig erholsam. Die Regentropfen, die auf das Zeltdach donnern, fühlen sich an wie Schläge im Kopf. Die Gedanken sind vernebelt, immer wieder rumort der Magen und es fällt schwer die Augen zu schließen. Ab und an trifft ein Schwall Wasser vom Baum auf das Zelt und durch die Wucht lösen sich ein paar Tropfen Kondenswasser von der Zeltinnenseite, die mich mehr oder weniger sanft wieder aus dem Schlaf reißen.
Glücklicherweise sind auch die Frühaufsteher Alfred und Thomas nicht wieder um 6:30 Uhr morgens schon am einpacken, sondern wollen auch das Ende des Gewitters abwarten. Ich schlafe noch bis 11 Uhr, dann geht es in einer kurzen Schauerpause los.
Es hat sich gelohnt, denn bald kommt die Sonne heraus, die Straßen trocknen und der Weg führt uns endlich mal ohne viel Verkehr und Abgase den ganzen Nachmittag an einem Fluss entlang bergab. Nur einige Tunnel gibt es hier, bei denen man versuchen sollte so schnell wie möglich durch zu sein, denn Lüftung und Beleuchtung gibt es nicht und die verqualmte, verbrauchte Luft steht bewegungslos in der Röhre und erschwert das Atmen.

Wir sind nun wieder ohne Alfred unterwegs, haben aber die Tage mit deutschsprachiger Begleitung, die frischen Wind in den Alltag bringt, sehr genossen. Wir kommen zügig voran und mit dem stetigen Tritt in die Pedale ändert sich auch die Landschaft. Nach der Fahrt durch grüne Täler, die von hohen Bergen eingerahmt sind, ist die Straße nun von nicht viel umgeben, die Temperaturen erreichen mühelos 30°C und mit der kargen Vegetation sieht es fast aus wie Wüste. Wir fangen nun an sehr früh aufzustehen und die Stunden um den Zenit der Sonne im Schatten unter ein paar Bäumen zu verbringen. Das bringt Erholung für den Körper und nette Begegnungen mit anderen Picknickern. Man sagt die Iraner seien die inoffiziellen Picknickweltmeister – überall sieht man sie auf Decken herumsitzen. Aber nie allzuweit entfernt von der Straße, laufen tun sie nämlich nicht so gern! Sehr beliebt ist daher auch das Ausbreiten der Picknickdecke auf dem Grünstreifen zwischen zwei Fahrspuren.

Ein lauschiges Plätzchen für ein Nickerchen in der Mittagszeit

Transporter voll mit Melonen aller Art stehen oft am Straßenrand

Wir suchen einen Platz für unsere Zelte, aber die Landschaft ist flach und bietet keinen Schutz vor ungewünschten Blicken. Nur an einer Stelle findet sich ein Rechteck aus Bäumen, offensichtlich eine Plantage. Quer durch führt ein kleiner Weg und genau in der Mitte des 20ha großen Gebietes ist ein kleines Gebäude mit lautem Dieselgenerator. Davor wäscht sich ein Mann kaum älter als wir oberkörperfrei an einem Wasserschlauch. Wir fragen, ob wir irgendwo hier unsere Zelte aufstellen können, bekommen aber keine eindeutige Antwort. Erstmal bekommen wir kalte Pepsi, Wasser, Kekse und Pistazien vorgesetzt und man bedeutet uns zu warten. Der Mann, Mustafa, versucht verzweifelt jemanden mit seinem Handy zu erreichen und holt dann ein Gewehr, mit dem er draußen einen Schuss in die Luft abfeuert. Was hat das zu bedeuten?
Wir warten weiter und als ich herausgehe und mich nach dem Stand der Dinge erkundige, zieht er mich hoch auf einen Traktor und bekomme dann das ganze Gelände gezeigt. Dass deutsche Traktoren die besten seien, habe ich jetzt bereits gelernt.
Können wir jetzt eigentlich hier irgendwo schlafen? Ja klar, im Haus. Er ist offensichtlich Besitzer des Geländes und wir breiten unsere Schlafsäcke glücklich in dem mit Teppichen ausgelegten Wohnzimmer aus. Als es dunkel ist und wir schon schlafen, weckt er uns noch einmal auf und deutet auf die Plastikfolie auf dem Boden, die im Iran meist den Küchentisch ersetzt. Darauf sind Teller mit Kidneybohnen in Soße und Thunfisch. Diese Zutaten vermengt man miteinander und isst sie dann mit Brot, Tomaten und Gurken. Wie hätten wir auch nur erwarten können zu Gast in einem solchen Land kein Essen bereitet zu bekommen?

Thunfisch mit Bohnen in Mustafas Wohnzimmer

Die Nacht wird begleitet vom Dieselgenerator im Haus, der im Prinzip aus dem alten Motor eines Traktors besteht. Der riesige Motorblock ist fast zwei Meter lang und halb so hoch. Warum der über Nacht nicht ausgestellt wird, weiß ich nicht. Wahrscheinlich, weil der Sprit im Iran so günstig ist? Das monotone Rattern beschert uns jedenfalls eine Nacht mit lautstarker akustischer Untermalung. Fast wie die LKW auf der Straße.
Früh am Morgen werde ich mit einer Massage geweckt. Mustafa knetet Rücken und Arme kräftig durch, er selbst ist schon seit einer Weile am Frühsport machen und hüpft aufgeregt durch die Wohnung. Ohne Frühstück will er uns nicht gehen lassen und ohne Geschenke erst recht nicht. Ein riesiges Glas selbstgemachten Honig können wir ihm nicht abschlagen, dazu gibt es noch Walnüsse und Rosinen.
Wieder einmal geht eine Begegnung zuende, bei der die Freundlichkeit und Offenherzigkeit so überwältigend sind, dass es fast schon zu viel ist. Nachdem ich noch ein paar Kleinigkeiten aus unserem Fundus übergeben habe und wir E-Mail-Adressen ausgetauscht haben, begleitet uns Mustafa bis zum Rande seines Anwesens und winkt uns eifrig nach.

Trotz fehlendem Ruhetag bin ich wieder topfit. Vor einigen Tagen hätte ich lieber zuhause im Bett gelegen und wäre dem gewöhnlichen Alltag nachgegangen, aber das Durchbeißen hat sich gelohnt. Nachdem man einen neuen Tiefpunkt kennen gelernt hat, ist die Normalität so schön wie nie zuvor. Die tollen Begegnungen entschädigen für alle Strapazen und die Räder rollen fast wie von selbst über das ebene Gelände.

Wir erreichen Tehran, die Hauptstadt des Irans, nach zwei aktiven Tagen mit insgesamt 340 Kilometern. Jährlich sterben hier in der Stadt 10.000 Menschen nur an den Folgen der Luftverschmutzung. Der Verkehr ist gar nicht so schlimm wie ich laut anderen Erfahrungsberichten erwartet hätte. Man wird öfter mal geschnitten und fast angefahren, aber eigentlich nicht viel anders als in deutschen Großstädten.

Lonely Planet meint allerdings zu dem Thema: „The sheer volume of traffic can be overwhelming and makes crossing the street seem like a game of Russian roulette, only in this game there are fewer empty chambers. Indeed, it is hard to overestimate the risk of an accident, whether you’re in a vehicle or on foot. It may not be much consolation, but the law says that if a driver hits a pedestrian the driver is always the one at fault and the only liable to pay blood money to the family of the victim.“


Ein Kommentar zu diesem Artikel

  1. Wunderbarer Eintrag mal wieder meine Lieber!

    Es freut mich so zu lesen wie du dich durch die Tiefs beißt, um am nächsten Tag ein unerwartetes Hoch zu erleben. :)
    Macht weiter so und lasst euch von nichts und niemandem entmutigen!

    So genial was ihr da alles erlebt…
    ääü

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