Ein Land mit tausend Seiten

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Wir erreichen Samarkand, eine weitere bedeutende Stadt entlang der Seidenstraße. Das Aushängeschild der Stadt ist das Registan, der antike Hauptplatz. Mir gefällt der Baustil der alten Gebäude, die mit Ziegelsteinen gemauert und mit blauer Farbe verziert sind. Hier findet man echte Geschichte und sieht jahrhundertealte Handwerkskunst im Vergleich zu Moscheen in den vorherigen Ländern, die wie Pilze aus dem Boden schießen. Sie sehen zwar auch nett aus, aber ihre Substanz ist ein neumodischer Betonklotz mit goldener Farbe auf der Kuppe.

Registan in Samarkand

Zwei Franzosen sind mit einem alten Citroen 2 CV auf dem Weg nach Zentralasien. Danach geht es über Russland wieder in die Heimat.

Mein Schwager nimmt die lange Reise aus Deutschland auf sich und bringt uns, nicht ohne selbst ziemlich viel Spaß an dem Kurztrip zu haben, ein paar Ersatzteile vorbei. Wir verbringen einen Tag in Samarkand, essen reichlich und landen sogar in einem usbekischen Badehaus. Das Hammam ist spärlich besucht, aber eine solch traditionelle und gründliche Wäsche ist bei mir offensichtlich dringend nötig. Nach zwei Runden, die aus saunieren, duschen, einseifen, waschen, duschen und schwimmen bestehen, fühle ich mich wie neugeboren.
Das Badehaus ist im Keller eines Gebäudes und durch verstaubte Fenster in der Kuppel eines jeden Raumes fällt nur spärliches Licht. Hier und da brennt eine schummerige Glühbirne, die mit surrendem Geräusch alle paar Sekunden ihre Helligkeit verändert. Die einzelnen Räume sind durch schmale Gänge verbunden, in denen man geduckt gehen muss, um sich nicht den Kopf zu stoßen. Im Sauna-Bereich fällt das Atmen schwer und der Steinboden ist glühend heiß. Nach Sekunden rinnt mir der Schweiß herunter, aber das ist okay, wenn man weiß, dass die nächste Abkühlung nicht weit entfernt ist.
Letztendlich ist die Haut ist wieder von Staub, Sand, Dreck und Sonnencreme befreit. Ein Wellness-Tag für Radreisende.

Als wir unseren Weg nach Kirgistan wieder aufnehmen, machen wir Mittagspause in einem Restaurant. Fast wollen wir schon wieder aufbrechen, da tritt jemand mit einer Herausforderung zum Billard an mich heran. Die nehme ich gerne an. Kurz darauf muss ich feststellen auf welch kuriose Weise hier gespielt wird. Die Kugeln sind wesentlich größer als üblich, die Taschen dafür aber kleiner. Möchte man eine Kugel einlochen, bleiben links und rechts von ihr höchstens zwei Millimeter Spielraum. Da man eine solche Präzision auf diesem Tisch nicht hinbekommt, da er ebenso schief und hügelig ist wie die usbekischen Straßen, versuchen die Einheimischen einfach mit möglichst viel Gewalt Glückstreffer zu landen. Der Queue wird nicht als Präzisionswerkzeug verwendet, sondern als Ritterschwert, mit dem man durch Schleudern versucht irgendetwas zu erreichen.
Kaum bin ich wieder zurück im Restaurant, werden wir ein weiteres Mal von unserem Aufbruch abgehalten. Eine Gruppe älterer Männer läd uns zum Bier ein. Wir gesellen uns dazu und einige Minuten später vergrößert sich die Truppe durch Neuankömmlinge. Es stellt sich heraus, dass hier Ausnahmslos Lehrer und Ärzte versammelt sind. Man hat wohl nicht viel Zeit und so befiehlt der Goldzahn-bestückte Anführer direkt, dass viel Salat, Brot, Dip, Fleisch sowie Vodka und Bier gebracht werden sollen. Das folgende Prozedere wiederholt sich nun mehrere Male. Ein Mann der Gruppe steht auf und hält einen Monolog, danach wird sich zugeprostet und man versucht möglichst schnell den Vodka zu leeren. Er wird in kleine Schälchen gefüllt und als Demonstration, das man wirklich den letzten Tropfen in sich geschüttet hat, haut man die Schale so schnell wie möglich umgekehrt auf den Tisch. Der beste Trinker wird gelobt und danach wird wieder aufgefüllt und nur wenige Minuten später beginnt das Spiel von vorne.
Nach kurzer Zeit sind die meisten schon am Lallen, wir haben anfangs geschummelt, da wir uns eine Vodka-Müslischale zu zweit teilten. Mein Sitznachbar schiebt mir freudig ein Stück Hammelfleisch auf den Teller. Allerdings ist kein Fleisch an dem langen Knochen zu erkennen. Einzig eine glibberig-weiße Fettmasse in der Größe einer Zigarettenpackung hängt lustlos herunter. „Ähh, danke!“
Eine Stunde später ist der Spuk vorbei. Die Versammlung löst sich auf, vielleicht müssen die Professoren wieder in die Uni oder die Ärzte zurück ins Krankenhaus?
Als wir auf die Fahrräder steigen, wird uns erst bewusst wieviel des russischen Vodkas, den man fast wie Wasser trinken kann, wir eigentlich so hatten.

Ähnliches wiederfährt uns einen Tag später. Drei Männer vom Nebentisch laden uns zu Plow und Vodka ein, diesmal findet aber nur eine überschaubare Anzahl von Vodkaschüsseln in unsere Mägen. Man versucht uns zu überzeugen, dass man das Reisgericht von der großen Platte auf der Mitte des Tisches traditionell mit den Fingern isst. Man drückt es zu einem Ballen zusammen und schiebt es sich dann irgendwie in den Mund. Thomas verbrennt sich die Finger bei dem Versuch und der Alte neben ihm versucht ihm wehement mit seiner eigenen Hand und dunkelbraunen Fingernägeln den Reis in den Mund zu stopfen. Thomas wehrt sich und ich amüsiere mich köstlich. Und bleibe beim Vodka.

1kg Plow in Bekabad

Als wir an einem Mittag in Bekabad, einer gar nicht so kleinen Stadt, ankommen, werden wir beim Besuch des Basars von Menschenmassen umringt. Ganz neu ist die Neugierde der Einheimischen nicht, aber diesmal waren es wirklich ziemlich viele. Sie sind nicht aufdringlich, aber durchaus neugierig und dreißig oder mehr Münder plappern ununterbrochen auf Usbekisch auf uns ein.
Die Stadt liegt an der tadjikischen Grenze und ist weit abseits der Hauptstraßen, die durch das Land führen. Offensichtlich hat man hier noch nie einen europäischen Touristen gesehen.

Wir bahnen uns den Weg aus dem Getümmel und sehen fast schon am Ortsausgang einen Kanal neben der Straße, in dem ein paar Menschen baden. In der Mittagshitze kommt uns das als Abkühlung gerade recht und so springen wir auch ins kühle Nass. Die Strömung ist enorm und ich schaffe es mit aller Kraft nicht stromaufwärts zu schwimmen. Daher laufen die Leute hundert Meter nach oben und springen dann auf allerlei Arten ins Wasser. Man lässt sich runter treiben und muss dann an geeigneten Stellen irgendwie den Weg aus dem schrägen Kanal finden.

Felder und Sonnenuntergang. Könnte fast in Deutschland sein, oder?

Wir campen nach einem harten Tag mit Ausblick auf Industrieidylle. Eine kilometerlange Grube, die von einem Staudamm begrenzt wird, fällt direkt neben unserem Zeltplatz steil ab. Abends ist noch wunderbarer Sonnenschein, aber als es dunkel wird, kommt Wind auf, der sich später zu einem Sturm wandelt. Der Wind peitscht seitlich gegen die Zeltwände und reißt es fast mit. Blitz und Donner kommen auch noch dazu und kurz darauf gewittert es wie aus Eimern. Wir sind irgendwo im Nirgendwo und es fühlt sich an als würde die Welt untergehen.
Ich setze mich aufrecht in das Zelt und halte mit aller Kraft die Stangen fest, aber bei einigen Böen reicht meine Kraft nicht aus und das Zelt neigt sich gefährlich schief in den Wind und droht abzuheben.
Nach Stunden ist alles vorbei und als ich nach der schlaflosen Nacht morgens aus dem Zelt steige, begrüßt mich die Sonne als wäre nie etwas geschehen.

Der Abend, da war alles noch in Ordnung

Wir überwinden einen 2200m hohen Pass, um in das Ferghanatal zu gelangen, das dichtbesiedelste Gebiet Zentralasiens. Durch das heiße Klima und viele Flüsse ist es enorm reich an Landwirtschaft und an den Straßen findet man noch mehr Aprikosen-, Melonen- und Gemüseverkäufer als überall sonst in Usbekistan.
Der Anstieg ist 15 Kilometer lang mit 12% Steigung. Wir machen uns zunutze, dass ein LKW langsam vor uns den Berg hochkriecht und halten uns kurzerhand an ihm fest. Der Beifahrer gibt uns Tücher heraus, damit die Finger nicht so schnell einschlafen. Zwischendurch treten wir etwas mit und erreichen nach gefühlten Ewigkeiten den Gipfel. Ab dort geht es vierzig Kilometer bergab und wir müssen kein einziges Mal in die Pedale treten. Thomas und ich sind uns einig, dass wir noch nie eine so rasante, lange und wunderschöne Abfahrt gefahren sind.


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