Im Land der Wüste

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Plausch mit zwei Radreisenden aus den Niederlanden

Wir überqueren die Grenze nach Turkmenistan ohne größere Probleme. Normalerweise werde hier jedermanns Gepäck durchleuchtet, aber bei uns verzichtet man darauf: „We trust you“. Die Zollbeamtin fragt, ob wir Drogen oder Waffen dabei haben, denn die gäbe es ja im Iran zuhauf. Sie schüttelt abwertend den Kopf als wir sagen, dass wir fast drei Wochen in diesem Land waren.

Wildcamping in der turkmenischen Steppe

Das Land der großen Wüste ist ganz anders organisiert als das, woran wir uns im vergangenen Monat gewöhnten. Inmitten einer Stadt findet man schwerlich Geschäfte und wenn, dann sind sie manchmal nicht auszumachen, denn es ist einfach eine Tür, die aussieht wie der Zugang zu einem Wohnhaus. Auch Hotels haben meist keine Schilder draußen hängen, das heißt wir müssen uns durchfragen. Sehr schwer, denn ohne Russisch oder die Landessprache geht hier nicht viel.
Dieser Zustand wird uns in Mary, der letzten größeren Stadt bevor die Wüste richtig beginnt, zum Verhängnis. Wir verbringen zwei Stunden damit eine Unterkunft zu suchen, aber was wir finden ist entweder ein Luxushotel oder aber hoffnungslos überteuert. Es gibt generell zwei Preislisten: Eine für Einheimische in Turkmenischen Manat und eine für alle anderen in Dollar. Letzterer Preis ist mindestens doppelt so hoch.

Zum Geld tauschen in der Bank geht man immer seitlich um das jeweilige Gebäude und dort befindet sich ein gerade mal 20x10cm großes Loch in der Wand. Man sieht den Menschen im Inneren nicht und muss einfach sein Geld hineinschieben in der Hoffnung, dass dann irgendwann Manat zu einem vernünftigen Wechselkurs wieder herauskommen. In meinem Fall begleitet von wütendem Schnauben des Angestellten: Ich habe ihn von seinem Nickerchen aufgeweckt.

Wir beobachten, dass wir entweder unfreundlich-emotionslose Menschen treffen oder aber sehr nette, aufgeschlossene und gastfreundliche Turkmenen. Gerade wenn wir etwas frustriert wegen der Begegnungen sind, taucht jemand auf, der alles wieder gut macht.
So auch in Mary. Wie gesagt, wir finden kein passendes Hotel und fahren daher zum Wildcampen aus der Stadt hinaus. Das Industriegelände außerhalb der Stadt zieht sich allerdings einige Kilometer und es dämmert bereits. Daher fragen wir an einem offenen Tor, ob wir wohl hier übernachten können. Herzlich werden wir in den Garten gebeten, den sich offenbar mehrere Familien und Wohnhäuser teilen. Auf einem mit Teppich ausgekleideten Turm können wir unter freiem Himmel die Nacht verbringen. Kinder umringen uns und wir zeigen die Fotos der vergangenen Wochen. Sie versuchen uns die turkmenischen Wörter für Dinge auf den Bildern wie „Melone“ oder „Wüste“ beizubringen. Ein achtjähriger Junge bringt sein Englisch-Vokabelheft her, wo deutlich geschrieben Englisch, Lautschrift Englisch und Turkmenisch in drei Spalten nebeneinander stehen. Darunter sind Wörter wie „incentive“ oder „various“, ganz schön anspruchsvoll für das Alter!
Kurz bevor wir unter freiem, wolkenlosem Himmel mit Blick auf die Sterne einschlafen, macht mir noch ein Jugendlicher ein offensichtlich selbstgefertigtes Freundschaftsbändchen um das Handgelenk. Was ein schöner Abend.

Ein üppiges Mahl bei unseren edlen ...

... Gastgebern

In Turkmenistan gibt es wenige Touristen. Die Visabestimmungen für ein Touristenvisum sind sehr streng. Man muss einen Führer durch das Land von einer staatlich anerkannten Organisation buchen und bekommt noch weitere Auflagen. Das ist sehr kostspielig und wird selten genutzt.
Ansonsten gibt es noch das Transitvisum. Es ist lediglich fünf Tage gültig und wird im Prinzip nur genutzt, um das Land schnell durchqueren zu können. Das sind dann so Leute wie wir: Mit dem Fahrrad, Motorrad oder Bus unterwegs in Richtung Osten.
Man merkt den Menschen und Institutionen an, dass hier selten Europäer zu Gast sind. In Türkei und Iran sprechen wir auch nicht die Landessprachen, aber die Kommunikation mit Gestiken ist dort trotzdem erheblich einfacher. Meist las man uns die Wünsche von den Augen ab. Hier ist alles komplizierter, wahrlich kein einfaches Reiseland.

Am nächsten Tag dringen wir in die richtige Wüste ein. Fast zweihundert Kilometer sind es zwischen den Städten Mary und Türkmenabat, dazwischen gibt höchstens alle 50 Kilometer mal ein Restaurant. Wir decken uns mit reichlich Wasser ein und machen uns sehr früh auf den Weg, um die Mittagshitze irgendwo im Schatten zu verbringen.
Wir kommen gut voran, aber nach der langen Mittagspause hat der Wind gedreht und kommt direkt von vorne. Zum Glück überholt uns ein Schwertransporter, der genau die richtige Geschwindigkeit hat und wir hängen uns in den Windschatten.
Eine halbe Stunde später sieht man, dass der Himmel vor uns nicht mehr blau ist, sondern beige, fast braun gefärbt ist. Das sieht ganz nach einem Sandsturm aus. Von einem Moment auf den anderen durchfahren wir die Grenze zwischen Sonne und Sand. Von allen Richtungen wirbelt Sand herum, über die Straße und direkt in unsere Gesichter und in alles, was nicht komplett verschlossen ist. Innerhalb von wenigen Minuten überzieht meinen schweißüberströmten Arm, auf dem sich schon lange die Sonnencreme verflüssigt hat, in Zusammenspiel mit der Sandstrahlung der Wüste eine braune, klebrige Masse. Zum Glück haben wir den Transporter vor uns, der Sand und Wind wenigstens ein bisschen abhält.
Dann passiert, was aufgrund der Tragik fast schon filmreif ist. Mein Flaschenhalter bricht nach zwei Monaten auf dem Fahrrad, weil ich ein tiefes Schlagloch auf der sandigen Straße übersehe, und die Trinkflasche kullert auf den Boden. Ich schreie noch „nein!“ durch den Wind, aber Thomas hält an, um sie aufzuheben. Nur einige hundert Meter hinter dem Transporter ist es unmöglich ihn einzuholen. Er fährt 35 km/h, aber der Wind ist so stark, dass wir mit hoher Anstreungung nur auf 20 km/h kommen. Unsere Rettung vor dem Sandsturm fährt von dannen.
Ein Lastwagenfahrer am Straßenrand erklärt, dass man nicht sagen könne wie lange der Sturm andauert. Aber er vermutet noch eine ganze Weile.
Wir sind komplett versandet und verschwitzt. Campen in der Wüste scheint bei diesem Wetter schwer möglich. Als der Fahrer uns dann anbietet die Fahrräder auf seine Ladefläche zu packen, nehmen wir das Angebot an. Während der Fahrt plärren Gassenhauer von Modern Talking und Tarkan aus den kratzigen Lautsprechern. In der gemütlichen Fahrerkabine erreichen wir, mit einer Geschwindigkeit, die nur wenig schneller ist als unsere mit dem Fahrrad, zweieinhalb Stunden später den Stadtrand von Türkmenabat. Es ist zu dunkel, um noch in die Stadt zu fahren, daher wird uns erlaubt die Zelte auf dem Fußballplatz hinter einer Schule aufzustellen. Im Dunkeln kommt ein Polizist mit Taschenlampe vorbei und erklärt uns, dass man hier nicht campen darf.
„Wir haben gefragt und man erlaubte uns hier zu übernachten.“
„Achso, okay!“
Na wenn sich Probleme nur immer so einfach lösen ließen.

Kurze Pause am Wegesrand. Der Windschatten in Form des gelben Schwertransporters naht heran.

Wir haben viel geschafft in den letzten Tagen und wollen einen Ruhetag in Türkmenabat einlegen. Das selbe Spiel wie zuvor in Mary. Zwar sind wir bereits um 8 Uhr morgens in der Stadt, aber erst gegen Mittag haben wir eine akzeptable Unterkunft gefunden. Zuvor eskortieren uns mehrere Autos zu verschiedenen Plätzen, auf Nachfrage bei Passanten deutet man in unterschiedlichste Richtungen, ein Hotel ist gar nicht mehr vorhanden und die Stadtkarte aus dem Reiseführer ist komplett falsch. Es gibt keinen Marktplatz, kein Stadtzentrum oder eine Einkaufspassage, wie es bei uns der Fall ist. Alles ist lieblos aneinandergestückelt, einzig die staatlichen Prunkbauten, das Theater und die überlebensgroßen Statuen des Diktators Turkmenbaschi stechen heraus.

Auch in dieser Stadt ist es wie vorher. Entweder die Begegnungen sind sowjetisch-kalt und kurz angebunden oder man ist nett wie eine Frau, die uns, als wir mitten auf der Hauptstraße mal wieder andere Reiseradler treffen und uns kurz unterhalten, einfach Süßigkeiten und Tee heraus bringt. Was ich von dieser Dualität halten soll, weiß ich noch nicht. Aber ich habe auch, dem Transitvisum geschuldet, keine Zeit mehr es herauszufinden. Es sind nur noch ein paar Kilometer bis zur Grenze nach Usbekistan, dann beginnt ein Abenteuer in einem weiteren Land mit starken russischen Einflüssen.


2 Kommentare zu diesem Artikel

  1. Da ist man mal ein Wochenende unterwegs und schwupp gibt es gleich zwei neue Berichte. Wunderbar!
    Das ist echt schon fast Filmreif gewesen.
    Ihr werdet sicherlich in den letzten Tagen noch überall ein paar Sandreste gefunden haben oder sie sogar in den Fahrradtaschen bis nach Deutschland zurück bringen :)

    Ne gute Weiterfahrt und schöne Erlebnisse in Usbekistan!
    Liebe Grüße, Lars

  2. Hallo Valentin

    Super Bericht und eine tolle Reise. Da ist ja mein geplanter Fahrradtrip von Zürich nach Toulon (F) ein Katzensprung. Ich werde die Reise weiter verfolgen und wünsche möglichst wenige Defekte.

    Wollte dich eigentlich wegen dem Earthpainting.com Projekt ein paar Sachen fragen, aber das muss nun warten.

    LG Pascal

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