Monotone Dürre

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Zwei Halbwüchsige breiten mit ihren dreckigen Händen eine quadratmetergroße Teigmasse in einem dunkeln Hinterraum des Lokals aus. Der Teig liegt auf einem gemauerten Steintisch, der von Öl und Dreck überzogen mittlerweile eher schwarz als weiß ist. In gleichmäßigen Intervallen zieht der Kürzere der Beiden mit gekonnter Technik lange Teigstücke aus der Fläche, die aussehen wie Spaghetti. Er rennt mit beiden Armen und den Nudeln vor sich ins Freie, wo er sie in einen riesigen Kessel mit brodelndem Wasser einrührt.
Zu gleicher Zeit hebt der Chef des Hauses eine rostige Axt in die Höhe, mit der er voller Freude, das kann man an seinem Gesicht ablesen, einzelne Stücke von der Hammelhälfte abschneidet, die seit Stunden in der Sonne im Freien herumbaumelt. Das tote Tier ist von Fliegen übersäat und gleichzeitig ertönt ein lautes Knacken, denn die Axt zerteilt mühelos einen Knochen als er voller Wucht auf den Holzblock haut. Das Fleisch-Fettgemisch wandert sogleich in einen Wok, in dem schon längst heißes Öl brutzelt.
Dreißig Augen starren mich ungläubig an als wäre ich nicht von dieser Welt. Das bärtige Bleichgesicht hat doch tatsächlich nun schon die dritte Portion „La mian“ geordert. Man ist sichtlich gut gelaunt und klatscht in die Hände als auch diese Mahlzeit in unsere Mägen wandert. Die frischen Nudeln, das lecker und scharf gewürzte Gemüse mit ein wenig Hammelfleisch ist eine Spezialität der Uiguren in Westchina und wir essen sie genüsslich mehrere Male am Tag.

"La mian", Gemüse mit handgezogenen Nudeln

Kontinuierlich drehen sich die Beine im Kreis und das Fahrrad schiebt sich auf dem guten chinesischen Asphalt vorwärts. Seit hunderten Kilometern fahren wir durch die Hitze. Links von uns beginnen die Berge. Manchmal sieht man unterschiedliche Steinschichten in den unterschiedlichsten Farben übereinander aufgeschichtet. Rechts von uns ist die Taklamakan-Wüste. Viele hundert Kilometer dehnt sich die zweitgrößte Sandwüste der Erde nach Osten aus und wir bewegen uns genau zwischen diesen beiden Welten. Das einzige, spärliche, abwechslungsreiche Highlight für das Auge sind die Güterzüge, die auf der Bahnlinie neben uns zwei, drei Mal am Tag die Wüste durchqueren.
Abschnitte von hundert Kilometern ohne einen Baum, einen Strauch, irgendetwas, das Schatten wirft oder sogar eine Siedlung zu sehen, sind keine Seltenheit. Tagelang bläst der Wind heftig in unsere Gesichter. Wir müssen uns motivieren zu fahren. Die Landschaft ist so eintönig und unabwechslungsreich, dass nur noch die Gedanken im Kopf bleiben.
Manchmal erreiche ich einen Zustand, der an Meditation erinnert. Die Beine bewegen sich von alleine und es fühlt sich an als wären Körper und Geist entkoppelt. Die Gedanken driften ab und Erinnerungen, die sich ganz tief hinten im Kopf vergraben haben, kommen wieder hervor. Wunderbare Erlebnisse, die fast schon in Vergessenheit geraten wären. Und dann wacht man wieder auf: „Ah, ich sitze auf dem Fahrrad und fahre durch die Wüste. Okay.“

Unser Ausblick für hunderte Kilometer

Lange Zeit fahren wir auf einer vierspurigen Schnellstraße, die noch im Bau befindlich und daher für Kraftfahrzeuge noch nicht geöffnet ist. Auf perfektem Asphalt werden wir von den Arbeitern nett gegrüßt und durch die Absperrungen gewunken.

Nach einigen intensiven Fahrtagen, deren Ablauf immer dem selben Schema folgt, finden wir abends eine kleine Oase in der Wüste. An einem Fluss entlang gibt es Vegetation, das Grün ist ein Lichtblick bei all dem trostlosen, staubigen Ausblick in die endlose Wüste. Auf einem kleinen Rasenstück machen wir es uns gemütlich und entdecken die orange leuchtenden Früchte der Schatten spendenden Bäume. Saftige, süße Aprikosen hängen von ihnen herunter und wir essen so viel von ihnen bis die Mägen schmerzen.
Selbst das von Sand und Erde ziemlich dreckige Wasser des Flusses ist noch sauberer als unsere Haut. Ein Bad im reißenden Strom, der von mannshohem Schilf eingefasst wird, ist erfrischend und belebend wie kaum etwas anderes. Selbst in den wenigen Orten, die wir in der letzten Zeit passiert haben, gibt es kein fließendes Wasser und die spärlichen Reserven, die die Menschen sich sammeln, reichen nur knapp zum Händewaschen aus.

Wir zelten auf der Farm einer kleinen ugurischen Familie. Sie bewirtschaften vier Hektar Land und sind zurückhaltend, aber sehr freundlich und interessiert

Ein exemplarischer Eindruck der Dörfer, die wir durchfahren

Die Chinesen kopieren alles, sogar die Front deutscher Autos

Meine Reise ist nun fast beendet und die Zielgerade erreicht. Nach über 10.000 Kilometern in knapp drei Monaten fliege ich von Urumqi zurück in die Heimat. Während Meter um Meter an meinem Auge vorbeirasen, denke an die vergangenen Erlebnisse zurück und gehe im Geist die Etappen unserer Tour durch: der Tag des Abschieds von Freunden und Familie, die ersten zähen Kilometer, wo mir der bevorstehende Berg an Anstrengung Kopfzerbrechen bereitete. Ich erinnere mich daran, wie wir langsam schafften uns mit dem Projekt zu identifizieren und nach ein, zwei Wochen mit Herz und Seele dabei waren. Wir fuhren durch Täler und über Berge, die uns alles abverlangten. Ich muss mich anstrengen alle diese Eindrücke abzuspeichern, denn es kommt einem vor als lägen sie bereits Jahre zurück.
In all diesen Wochen habe ich viel gelernt. Viel über Menschen und ihr Leben, über Essensgewohnheiten, Gastfreundschaft und politische Unterdrückung. Über Wünsche und Sehnsüchte von unseren Begegnungen und manchmal auch Verzweiflung ob ihres Daseins.
Aber ich habe auch mich selbst besser kennen gelernt. Es ist interessant die körperlichen und geistigen Grenzen zu er“fahren“. Wir versuchten die unterschiedlichsten Anforderungen mit Hagel in Deutschland, Schnee in Bulgarien, schlechten Straßen und Gewitter in der Türkei, Wüste im Iran, dem 3600m hohen Pass, unendlich langen Steigungen und Nachtfrost in Kirgistan oder der endlosen Dürre in China irgendwie durchzustehen und ständig aus einer unendlichen Quelle Motivation zu schöpfen. Ich bin mir sicher, dass diese Erfahrungen von unschätzbar großem Wert sind und ich bin glücklich, dass alles ohne große Probleme abgelaufen ist.
Auch ist mir klar geworden, dass sich jedes noch so große Ziel erreichen lässt, wenn man es in kleine Teiletappen einteilt. Wenn man nur einen überschaubaren Bereich vor sich hat und dann langsam zum nächsten übergeht. Irgendwann hat man das große Ganze erreicht und vielleicht ist es dann so unvorstellbar groß, dass man es kaum glauben kann.
Nicht zuletzt habe ich in Thomas einen guten Freund gefunden und wünsche ihm alle Kraft der Welt für die weiteren vier Wochen nach Hong Kong, wo dann auch seine Reise endet.

Zwischen Kuqa und Korla in China haben wir die 10.000-Kilometer-Marke erreicht


2 Kommentare zu diesem Artikel

  1. Hallo Valentin und Thomas

    Schade das Valentin die restlichen paar KM nicht mehr dabei ist, hoffe natürlich das Thomas den Reiseblog weiterführt und Valentin eine gute Heimreise.

    Das Essen sieht auf dem Foto besser aus als die Beschriebung vermuten lässt.

    LG Pascal

    PS: Danke für den Tipp mit dem Link.

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