Ankunft in Marokko

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Ankunft im Melonenland

Nach ein paar schönen Strandtagen lassen wir Spanien hinter uns und beginnen gespannt den letzten Abschnitt unserer Reise, Marokko. Von Algeciras aus nehmen die wir Fähre nach Tanger Med. Es kostet uns einige Anläufe um einen Fähranbieter zu finden, der unser Tandem mitnimmt. Wir sind die einzigen Passagiere, die überhaupt mit den Rad reisen und dann auch nur ein Ticket für den einfachen Weg benötigen. Nachdem alle LKW im Bauch der Fähre verschwunden sind, dürfen auch wir an Board und können unser Tandem in einem Maschinenraum abstellen.
In Tanger Med werden wir bereits freundlich auf französisch begrüßt. Am Geldautomaten können wir ohne Probleme die ersten Dirham abheben, ohne Gebühren zu zahlen. Es dauert eine Weile, bis wir das große Hafengebiet durchquert haben. Nahezu alle Fahrzeuge, die an uns vorbeifahren, hupen. Während ich das noch sehr ungewohnt finde, so sehr aufzufallen, kennt das Valentin bereits von seiner letzten Reise und ist wenig beeindruckt, aber durchaus erfreut. Die Fahrer und Menschen, an denen wir vorbeiradeln, winken oft freudig und rufen uns unverständliche Worte zu, die wir als positiv interpretieren.

Häuser in Tanger

Wir fahren an der endlosen Uferpromenade entlang, vorbei an flanierenden Pärchen, modernen Geschäften, an den Berg gebauten Baracken.und joggenden Frauen in langen Gewändern mit Kopftüchern.
Unsere erste Nacht in Marokko verbringen wir in Tanger auf einem Campingplatz. Auf der trockenen Wiese, die noch nie gemäht wurde, steht unser Zelt sehr weich, sodass ich nicht einmal meine Luftmatratze aufpusten muss.
Ich freue mich über unser beider Talent, auch schlechte Dinge durch eine veränderte Sichtweise darauf plötzlich als gar nicht mehr so übel anzusehen. So sind beispielsweise die katastrophalen Sanitäranlagen, über die ich mich in Spanien noch beschwert hätte, für meine Erwartung an hiesige Verhältnisse gar nicht mal schlecht. In einem Betonloch ohne Licht haben wir immerhin die Möglichkeit uns nach den zurückgelegten 130 Kilometern mit einem tröpfelnden, eiskalten Wasserstrahl zu erfrischen. Warmes Wasser ist hier selten, aber ich weiß, dass ich in spätestens zwei Wochen wieder zuhause bin und so ist das auch zu verkraften. Ich habe außerdem beschlossen mich an keinem Tag über die hiesigen Berge zu beschweren, sondern genieße jeden Tag, der uns noch bleibt, bis wir zurück nach Deutschland müssen. Die Strecken sind wirklich sehr hügelig, doch die grandiosen Ausblicke entschädigen uns für die anstregende Fahrt.

In Asilah legen wir einen Stop ein, auf den sich Valentin schon seit Wochen freut. Hier ist er auf seiner letzten Reise ebenfalls vorbeigekommen, als er mit dem Auto von Deutschland nach Dakar im Senegal gefahren ist. In Asilah war er damals bei einem Frisör, den wir nun wieder gefunden haben. Der Frisörladen ist etwas altertümlich eingerichtet, an der Wand hängen einige Bilder von bekannten Schauspielern, deren Frisuren man sich schneiden lassen kann.
Nachdem die Kopfhaare fachmännisch entfernt wurden, geht es an den Bart: Zwar einigten sich die beiden zuvor auf 5-6 mm Bartlänge, doch hier entscheidet der Meister selbst, was gut aussieht, und so schaut Valentin etwas traurig in den Spiegel, als er feststellt, dass sein geliebter Bart nun auf dem Fußboden liegt. Gut, dass ich mich nicht getraut habe, wer weiß, wie ich den Laden verlassen hätte.

Als wir gerade ein Straßenlokal ansteuern, passieren wir einen Radfahrer, der ohne zu wissen, dass wir aus Deutschland kommen im Vorbeifahren “Oh, schönes Fahrrad” murmelt. Wir stoppen und kommen ins Gespräch. Dies sollte die glücklichste Begegnung des Tages werden, die wir beide so schnell nicht vergessen! Mustafa ist in Marokko geboren, lebt aber eigentlich in Hamburg und arbeitet dort als Lichttechniker für Musicals, was ihn zu einem wahren Showexperten macht.
Er führt uns zu einem Restaurant, in dem auch er essen würde und weg von dem schlechten Restaurant, in das nur Touristen geführt würden, was für uns jedoch nicht zu unterscheiden ist, denn Touristen gibt es hier eigentlich keine. Die anderen Restaurants seien eher auf Profit ausgerichtet und das wahre Essen gebe es ohnehin nur bei den Frauen auf dem Dorf. Dass wir dazu noch am selben Abend die Gelegenheit bekommen sollten, wussten wir noch nicht, aber mit seiner Hilfe kamen wir zunächst einmal zu einem stattlichen Mittagessen. Das für uns bereitgestellte Leitungswasser weist Mustafa ärgerlich zurück: “Das dürft ihr auf keinen Fall trinken, da kriegt ihr Durchfall!”. Ein Junge bringt uns eine Flasche Mineralwasser und wir freuen uns über seine Hilfe. Im Anschluss lernen wir bei einem leckeren Tee in einem nahegelegenen Café seinen Sohn Armin kennen, der in Wien studiert und mit seinem Vater hier in der zweiten Heimat die Ferien verbringt.
Dass wir bis hier her ohne Zug und Bus mit dem Fahrrad gefahren sind, können die um uns sitzenden Bekannten kaum glauben.
Bei einem befreundeten Künstler, der an unseren Tisch kommt, erstehen wir ein Bild, das er extra für uns angefertigt hat. Darauf sind wir und unser Tandem zu sehen. Genau wie sein ganzes Sortiment an Zeichnungen, ist unser Bild auf einen Zementsack gemalt, er nennt das Recycling, der besonders behandelt wurde und dadurch reißfest ist, sodass wir die Zeichnung hoffentlich unbeschadet mit nach Hause bringen werden.
Mustafa besitzt einen Bauernhof außerhalb der Stadt. Mit Zuckerstückchen und Teelöffeln, die er auf dem Tisch anrichtet, erklärt er uns den Weg dorthin, denn wir wurden eingeladen dort die Nacht zu verbringen. Ganz einfach zu finden sei das, nur immer gerade aus, um den Kreisel, bei der Tankstelle links und dann sei man fast da. Wenn wir da sind, sollen wir im Dorf einfach nach dem Haus von Mustafa fragen, die wüssten dann schon, wer gemeint ist. Dass wir auf dem Fahrrad etwas länger brauchen und mit Gegenwind, Hügeln und Hitze zu kämpfen haben, wird bei den Streckenangaben oft vergessen.
Wir bekommen einen Vorsprung und machen uns mit gemischten Gefühlen, ob wir jemals dort ankommen werden, auf den Weg. Zum Glück haben wir zuvor ein paar Fotos des selbstgebauten Lehmhauses gesehen, sodass wir per Ausschlussprinzip schon recht erfolgreich sind.
Leider verlieren wir irgendwann den Überblick und finden uns in vermüllten Hinterhöfen und Sackgassen wieder. Als wir nach dem Weg fragen, erhalten wir die Antwort, dass es hier ziemlich viele Mustafas gibt (in etwa so wie einen Peter in Frankfurt zu suchen) und werden dann in die falsche Richtung geschickt.

Letztendlich haben wir Glück und eine Gruppe älterer Herren scheint den richtigen Mustafa zu kennen. Sogar eine Telefonnummer haben sie und kurzerhand wird unser Gastgeber per Handy erreicht. Wir haben einen falschen Weg eingeschlagen und müssen das Tandem mühsam über die Wiese tragen. Der Nachbar von Mustafa begleitet uns und hilft trotz seines hohen Alters beim Schieben. Es stellt sich im Nachhinein heraus, dass unser freundlicher Helfer der Bürgermeister des Dorfes ist.
Wir sind überglücklich, dass wir unser Übernachtungsziel erreichen, denn die Sonne steht bereits sehr tief. Natürlich verzichten wir auch hier nicht auf unser Zelt, das doch mittlerweile unser zuhause geworden ist, und so bauen wir es im Garten bei den freilaufenden Hühnern neben zwei Hängematten auf, in denen auch Mustafa oft liegt und die Stille und die klare Sicht auf den Sternenhimmel genießt.
Das Haus ist richtig schön! In jedem Zimmer hängen großformatige Gemälde, die Mustafa selbst gemalt hat. Eine Haushälterin, die sich um die kleinen Wohnungen kümmert, wenn er nicht da ist, versorgt uns am Abend mit einer riesigen Portion Tagine, eine marokkanische Spezialität.
In einer riesigen Tonschale wird eine unglaubliche Menge Couscous, bedeckt mit lecker duftendem Gemüse, serviert, in das für jeden ein Löffel gesteckt wird. Da ich kein Fleisch esse, wird das Gericht netterweise vegetarisch zubereitet, ganz zur Verwunderung der Köchin. Keiner der Anwesenden hat je eine fleischlose Tagine gegessen, aber es scheint allen trotzdem zu schmecken. Wir essen nämlich nicht alleine, sondern haben Gesellschaft von Mustafa, seinem Sohn, zwei seiner Freunde, einem Nachbarn sowie von Anna, einer befreundeten Schweizerin, die hier lebt. Wir lassen uns die karamellisierten Zwiebeln mit Rosinen und Zimt auf der Zunge zergehen und im Anschluss gibt es auch noch frische Melonen und den traditionellen Minztee, dazu hören wir Musik von Mozart. Wir bekommen viele hilfreiche Tipps und Ideen für Besichtigungen. Nach dem Essen beginnt ein Freund von Armin, ein leidenschaftlicher Gitarrist, ein paar westliche Lieder zu spielen. So vergehen einige Stunden im Kerzenschein. Mit gefüllten Mägen in entspannter Atmosphäre und guter Gesellschaft ist das ein schöner Abschluss für den Tag.

Bei der Haushälterin bekommen wir am kommenden Morgen noch ein Frühstück: frische Brotfladen mit Oliven, dazu Melone und Tee. Sie hat sieben Kinder, alles Mädchen. Die jüngste Tochter, die ich prompt in die Arme gelegt bekomme, ist höchstens zwei Monate alt und wurde wie alle Kinder zuhause geboren. Man wundert sich, warum wir in unserem Alter noch keine Kinder haben.
Der Vater der Familie isst mit uns und kann nicht glauben, dass wir so weit mit dem Fahrrad gefahren sind. Er hat sein Dorf nie verlassen und fragt uns, wie lange man wohl mit dem Esel für die Strecke bräuchte. Da sind wir übefragt. Die Familie besitzt einen Esel, Hühner und drei Schafe, die alle unter einem Dach wohnen. Mustafa unterstützt die Familie und die Einnahmen aus der Vermietung seines Hauses kommen der teuren Schulbildung der Kinder zugute.
Es ist schön, dass wir durch Mustafa die Gelegenheit bekommen, einen Eindruck ihrer Lebensweise zu bekommen, die uns sonst sicher verwehrt geblieben wäre.

Marokkanisches Frühstück

Wir verlassen unseren freundlichen Gastgeber und setzen unsere Reise fort. Da wir nur wenige Kilometer entfernt von Mzoura, einem Stonehenge-ähnlichen Steinkreis von 3000 v. Chr. sind, ist das unser nächster Stopp.

Ausblick von Mzoura


5 Kommentare zu diesem Artikel

  1. Oh wie schön das alles klingt und wie gerne würden wir auch Melone und Tee bei Sonnenaufgang genießen! Aber das tun wir dann wieder, wenn ihr Kinder habt und unsere bereits groß sind! Haha!
    Enjoy!!!

  2. Hallo Sarah – danke für den schönen Bericht – da fühlt man sich doch gleich so, als ob man auch einen Löffel in der Hand hat und mitessen darf :-) Euch noch eine gute Zeit und weitere wunderbare Begegnungen und hilfreiche Bürgemeister :-)
    Auf bald in Hu – LG Nina

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