Endlich Iran

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Willkommen im Melonen-Land!

Willkommen im Melonen-Land!

Während ich diesen Artikel schreibe, liege ich im kuscheligen Schlafsack auf 2400m Höhe mitten im Elburs-Gebirge. Das Thermometer am Fahrrad-Tacho zeigt angenehme 14°C und die sanften Klänge eines “Mumford & Sons“-Albums, das die Kopfhörer im Ohr abspielen, übertönen die iranischen Autos, die in einiger Entfernung die Passstraße hinaufknattern. Mir geht es gut. So gut, dass ich heute, obwohl ich sonst nicht so emotional bin, tatsächlich eine Freudenträne weinen musste. Aber der Reihe nach.

Noch in Aserbaidschan hat Felix etwas Schlechtes zu essen erwischt, was die Verdauung über Tage lahm gelegt hat. Und wenn die Kalorien nicht im Körper bleiben, ist Radfahren auch nicht mehr so toll. Damit ich nicht mehrere Tage in unattraktiven Örtchen warten muss, bis es ihm wieder besser geht, haben wir uns entschieden, dass er einige Strecken im Bus zurück legt und ich dann mit dem Fahrrad alleine nachkomme. Das hat geklappt und Felix geht es mittlerweile wieder gut.

An neugierige Menschentrauben muss man sich gewöhnen.

An neugierige Menschentrauben muss man sich gewöhnen.

Erst zum Melonenwagen, dann Tomaten, Orangen und Gurken. Einkaufen mal anders.

Erst zum Melonenwagen, dann Tomaten, Orangen und Gurken. Einkaufen mal anders.

Bereits kurz nach der Einreise in den Iran, bei der wir erst die nach Geschlechtern getrennten Warteschlangen bestaunen, dann aber einladend vorbei gewunken werden, bekommen wir eine Kostprobe des persischen Lebensgefühls. Aber nicht bevor der iranische Grenzbeamte uns seinen afghanischen Kollegen vom Zoll lachend als “Afghan, Terrorist, Terrorist!“ vorstellt. Astara, die Stadt an der Grenze, ist lebendig. Es gibt Obststände an den Straßen, schreiende Händler, Schmuckläden und ein duftendes Gemisch aus frischen Backwaren und Smog.
Ein paar Tage lang folgen wir der flachen Straße am Kaspischen Meer. Die vierspurige und gut asphaltierte Straße macht das Vorankommen mit ihrem breiten Seitenstreifen schnell und ungefährlich. Ab und an gibt es einen Weg ans Meer, das smaragdgrün von der Sonne angeleuchtet wird und eigentlich recht einladend aussieht. Lediglich der Müll am Strand hindert mich ein wenig an einer Abkühlung.

Cheng Xiang Hai, ein chinesischer Reiseradler, der vor acht Monaten in Tibet gestartet ist.

Cheng Xiang Hai, ein chinesischer Reiseradler, der vor acht Monaten in Tibet gestartet ist.

An einem Abend überholt mich ein iranischer Rennradler und begrüßt mich mit einem akzentfreien “Hey, how are you?“. Ich antworte mit einem erfreuten Redeschwall, aber es stellt sich heraus, dass seine Englisch-Kenntnisse etwa so ausgeprägt sind wie meine in Farsi. Trotzdem verstehen wir uns gut. Er ist Zahnarzt und genau so alt wie ich. Als ich ihn frage, wo man denn hier viel und gutes Essen findet, lädt er mich kurzerhand zu sich nach Hause ein. Nach typisch iranischer Manier wohnt er bei seinen Eltern, denn einen neuen Haushalt eröffnet man üblicherweise erst mit der Heirat. Ich bekomme die Dusche gezeigt, einen großen Teller Nudeln vorgesetzt, das WLAN-Passwort aufgeschrieben und Nachrichten im ZDF auf dem Flachbildschirm angeschaltet. Und dann verabschiedet er sich auch schon wieder: “nur zwei Stunden, ich habe noch einen Patienten“. Ich fühle mich wie im Paradies, denn vor einer Stunde habe ich schon an eine hungrige Nacht mit Dreck-Sonnencreme-Schweiß-Gemisch im Schlafsack gedacht.
Als ich später fast schon ins Bett gehen will, trifft noch sein Bruder mit Schwägerin ein und der Grill wird angeworfen. Im Wohnzimmer haben wir ein ausgiebiges Mahl. Da ich zuvor noch keinen Rennradfahrer im Iran gesehen habe, finde ich es noch interessanter, dass mein Gastgeber ein Triathlet ist. Direkt hinter dem Haus ist ein großer Garten mit Strandzugang, wo er täglich schwimmen geht – im Winter mit Neoprenanzug. Nebenbei stehen da auch noch drei Boote und Jetskis. Er fährt auch ganz gerne Wasserski. Seine Schwägerin ist Volleyballtrainerin und da haben wir natürlich an dem Abend allerlei sportlichen Gesprächsstoff. Auch werden meine Zähne kontrolliert und für gut befunden. Am nächsten Morgen begleitet er mich noch eine Weile bis ich ins Gebirge abbiege. Nach dieser 60 km langen Morgenrunde fährt er zurück in seine Praxis, arbeitet ein paar Stunden und geht dann mit Freunden Wasserski fahren. La dolce vita!

Knoblauch-Shampoo, auch was Feines!

Knoblauch-Shampoo, auch was Feines!

Auf dem Tagesprogramm steht die Elburs-Überquerung. Dieses Gebirge liegt zwischen Tehran und dem Kaspischen Meer und die schmale Straße wird von den vielen iranischen Touristen reichlich frequentiert. Gleichermaßen wird diese Straße als eine der weltweit attraktivsten und gefährlichsten Strecken beschrieben. Und für uns ist sie auch eine rekordverdächtige Herausforderung. Die 120 Kilometer lange Steigung von Meereshöhe auf 3200m verspricht viel Schweiß. Oder eben Freudentränen.
Beflügelt von der schönen Einladung am Vorabend beginne ich den Anstieg und bin direkt überrascht wie viele Restaurants und Läden die schmale Straße säumen. Der starke Verkehr hat offensichtlich den Nebeneffekt, dass hier jeder versucht sein Geld mit den vielen Touristen zu machen. Der Tag ist gefüllt von netten Begegnungen, Zurufen, nach oben gereckten Daumen und kleinen Geschenken. Das erleichtert die Plackerei erheblich und auch die Ausblicke sind so grandios, dass sie die vereinzelten monotonen und ereignislosen Tage in den letzten anderthalb Monaten gleich mehrfach relativieren. Absolut begeistert bin ich, wie auch schon vor drei Jahren, von der iranischen Mentalität. Sie ist ruhig und zurückhaltend, aber gleichzeitig aufrichtig, warmherzig und ehrlich. Und auch was man manchmal mit dem Islam assoziiert, nämlich die Befangenheit und Eingeschränktheit, sehe ich hier nicht. Ich sehe modern gekleidete Frauen, die der Kopftuchpflicht mit einem Tuch trotzen, das gerade so am Zopfansatz nach hinten abfällt und mehr Haare zeigt als verdeckt. Wie das hält, weiß ich nicht. Da gibt es bestimmt einen tollen Trick. Aber ist ja auch Frauensache.
Ich sehe auch Iraner, die das Vergnügen lieben. Sie bauen Jahrmärkte am Meer auf, fahren in Seilbahngondeln über die Landschaft, picknicken neben der Straße, hören laute Musik, bauen ihre Zelte auf und genießen das Leben. Mehr noch: Sie freuen sich, wenn man ihr Land besucht und sind erpicht darauf, dass man die positiven Eindrücke weitergibt.

Das da unten ist kein Fluss, sondern die Straße, die wir hinauf gefahren sind.

Das da unten ist kein Fluss, sondern die Straße, die wir hinauf gefahren sind.

Iraner zelten überall!

Iraner zelten überall!

Am nächsten Morgen beginnen wir den weiteren Aufstieg über eine gesperrte Passstraße. Anstatt mit gleichmäßigem Gefälle nach Teheran hinab zu rollen, entscheiden wir uns einen weiteren Gipfel zu überqueren, obwohl wir von den Einheimischen darauf hingewiesen werden, dass die Straße geschlossen und voller Geröll ist. Wir haben aber viel Zeit an diesem Tag und freuen uns auf schöne Ausblicke und wenig Verkehr. Aber wie so oft hat eine vermeidlich kürzere Straße auch ein paar Nachteile: In diesem Fall sind die steilen Serpentinen überfüllt mit den Resten von Erdrutschen, später kommt dann noch eine geschlossene Schneedecke hinzu. Immer neben uns ist ein Skigebiet – und die Gipfelstation eines Sesselliftes ist gleichermaßen die Passhöhe. Nach kräftezehrendem Schieben, Tragen und bis-zum-Oberschenkel-im-Schnee-Versinken sind wir irgendwann dann doch oben und die Abfahrt an der Südseite des Berges ist glücklicherweise schneefrei. Trotzdem fängt es leicht an zu schneien, später ist es nur noch Regen. Eine halbe Stunde später können wir die Jacken wieder ausziehen und am Nachmittag schwitzen wir sogar im T-Shirt. Ein Tag, der wieder mal an Wechselhaftigkeit kaum zu überbieten ist. Wir rollen hinab nach Teheran und werden von einer befreundeten Familie, die mich schon 2011 sehr nett aufgenommen hat, fürstlich empfangen. Wir sind jetzt wirklich im Sommer angekommen: 30°C, Tendenz steigend. Schnee werden wir nicht mehr sehen, dafür Sand, Wüste und Wassermelonen. Das letzte Drittel der Reise ist damit angebrochen.

Einer dieser Momente...

Einer dieser Momente…


12 Kommentare zu diesem Artikel

  1. Also für mich ist das der mit Abstand schönste Artikel dieser Reise. Prima geschrieben! Das Foto der Iranerin ist aussergewöhnlich.

  2. Hallo, liebe Radler, es ist unbeschreiblich faszinierend, was Ihr alles erlebt.Weiterlin eine pannenfreie Tour und eine gesunde Rückkehr.

  3. Hallo Valentin und Freund,
    genau wie ihr haben wir einen Tag in Teherans Ski- und Schneegebiet verbracht. Wir hätten uns fast treffen können. Und jetzt verleben wir unseren letzten Tag in diesem wunderbaren Land mit den außerordentlich freundlichen, gastfreundlichen Menschen. Wir haben viele Essenseinladungen hinter uns und viele Freundschaften geknüpft.
    Wir wünschen euch noch ein erfolgreiches, glückliches letztes Drittel und ganz viel Spaß in Iran.
    Hanne, Gerd und Jan

  4. Wow…tolle Eintrag.
    Freut mich zu hören, das Felix wieder fit ist und ihr nun gemeinsam in das letzte Drittel startet.

    Genieß den Iran und bring noch mehr tolle Geschichten mit. :)

  5. Hallo,ihr beiden
    euer Glück im letztzen Drittel eurer Reise angekommen zu sein, so gute Begegnungen zu haben und das alles verbunden mit viel Gesundheit und gutem Gelingen, das kommt in jedem Satz zum Ausdruck.
    Apropos Ausdruck: Valentin du machst nicht nur tolle Fotos, auch wie du schreibst, das ist eben so gut. Danke für die ausführlichen Berichte und euch weiterhin gute Fahrt und viel Schönes
    wünschen Franziska und Axel

  6. Hallo!
    Ein wirklich toller Bericht aus dem Iran. Ich habe schon auf vielen Blogs von der Gastfreundschaft im Iran gelesen. Einfach klasse!! Die Darstellung unserer Medien vermittelt da ja oft einen anderen Eindruck. Vielleicht habe ich ja auch mal das Glück den Iran bereisen zu können! :)
    Ich freue mich auf mehr Bilder von Euch!
    Grüße aus der Pfalz

    nico

  7. Hallo ihr beiden,
    Mit Neugier verfolgen wir weiterhin die Blog-Einträge. Wir sind froh zu hören, dass es dir, Felix, wieder gut geht und dir, Valentin, wünschen wir, dass du weiterhin von solchen Beschwerden verschont bleibst!
    Viel Energie für euer letztes Reise-Drittel!

    • ich bin so faziniert von eurer Reise, den Eindrücken, Fotos und den Berichten über die Menschen die ihr dort kennengelernt habt..Gut zu erfahren, wie das Leben dort ist! Alles Gute und liebe Grüße

  8. Tja, Valentin, Zahnmedizin – das wär’s gewesen! Strand, Boote, Jetskis, Wasserski …
    Informatik: Zweierkajak :D
    Weiterhin gute Fahrt, und lieber zu viel gegessen als zu wenig getrunken!

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