Seychellen kann jeder

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Ich schließe die Augen. Das ist meist ein erstes Anzeichen dafür, dass die Anstrengung allmählich zu groß wird. Während man zuvor noch froh ist über jede Ablenkung am Wegesrand, geht es in diesem Modus nur noch darum all die verbleibende Energie in die Pedale zu schicken. Ich konzentriere mich ganz auf das monotone Surren der Kette. Treten, einfach nur treten, links drücken, rechts ziehen, immer weiter den steilen Hügel hinauf. Die Mittagssonne steht direkt über uns und verbrennt mir den Nacken. Der schmale Schaumgummirand meines Helmes hat die maximale Menge an Schweiß aufgesaugt. An meinen nassen Händen, die fast vom Lenker abrutschen, bilden sich schwarze Röllchen, ähnlich wie als hätte jemand auf meiner Haut einen Radiergummi benutzt. Nach der Reise würde wahrscheinlich auch beim zweiten Hammam-Besuch noch Dreck aus unserer Haut kommen. Ich höre die bekannten Mzungu-Schreie und öffne die Augen. Wir passieren eine Schule, natürlich werden wir wieder sofort umringt, doch nicht nur das, die Kinder rennen mit uns den Berg hinauf, schieben lachend hinten mit an. Wir quälen uns immer weiter im Schneckentempo den noch steiler werdenden Berg hinauf. Ich lächle natürlich zurück, wobei meine von der Sonne verbrannte Lippe aufreißt. Nachdem unsere letzten Kekse an die fleißigen Anschieber verteilt sind, führen wir unseren Weg wieder alleine fort. Die Kommunikation ist auf das Wesentliche beschränkt, jeder hat gerade mit sich selbst zu tun. Valentin ist komplett durchgeschwitzt. Auf seinem T-Shirt hat sich eine weiße Salzkruste gebildet. Noch ein paar Meter, dann sehen wir, was uns erwartet. Die asphaltierte Straße ist hier vorbei, von nun an geht es auf der löchrigen Schotterpiste weiter. Einige Meter sind zu sandig und wir müssen schieben. Ein vollbeladener Laster überholt uns und hüllt uns in eine dichte Staubwolke. Als ich mir die Nase putze, sehe ich Blut und Staub. Ich frage mich, was ich hier gerade mache. Honeymoon on a Tandem? Ja, das ist unsere Hochzeitsreise. Und ja, ich bin freiwillig hier. Ein bisschen komisch, ist aber so. Ich denke an die Traum-Seychellen-Honeymoon-Reise, die wir knapp nicht gewonnen haben. Immer weiter geht es bergauf. Unsere Trinkwasservorräte sind aufgebraucht, doch das nächste kleine Dorf am Fuße des Kilimanjaros, der heute den ganzen Tag unter Wolken verborgen blieb, ist schon am Horizont zu erkennen. Das kleine Dorf besteht nur aus Bretterbuden, die die staubige Hauptstrasse säumen. Hier verirren sich nicht viele Touristen hin. Gleich werden wir mit den Handys der Einheimischen fotografiert, denn ein mobiles Telefon zu haben, ist mittlerweile auch in abgelegenen Dörfern keine Seltenheit mehr. Manchmal habe ich das Gefühl, wir wurden sogar schon angekündigt. Hier werden wir, vielleicht auch aufgrund der Tatsache, dass wir genau so dreckig aussehen, wie alle anderen, nicht mehr als reiche Weiße wahrgenommen. Die alte Dame am Marktstand läuft uns noch hinterher und gibt uns drei Möhren extra mit auf den Weg. Manchmal wenn wir losfahren, scheue ich mich, frischgeduscht, alles zu geben und mich wieder komplett dem Fahrradfahren hinzugeben. Doch mit halber Kraft fahren geht einerseits gegen die Fahrradehre, immerhin muss das Valentin dann ausgleichen, andererseits ist es immer wieder interessant zu sehen, wie viel mein Körper doch schafft, auch wenn ich heute schon um halb 8 das erste mal “ich kann nicht mehr” gesagt habe. Oh je, hätte ich da schon gewusst, was heute auf mich zukommen würde, ich weiß nicht, ob ich dann so lange durchgehalten hätte. Manchmal kommt mir Tansania so vor wie ein Perpetuum mobile, denn komischerweise fahren wir seit Tagen immer nur bergauf, obwohl Valentin mehrfach versprochen hat, dass es von nun an nur noch bergab gehen wird.

67 Km und 1200 Höhenmeter auf schlimmster Schotterpiste liegen nun hinter uns. Gerettet hat mich heute mein Handy. Es ist wirklich faszinierend, was Musik ausrichten kann. Als mein Herz heute pumpte, wie nie, und ich dachte, gleich fall ich vom Rad, habe ich mir die Kopfhörer ins Ohr gesteckt und mich ausgeklinkt. Die vertrauten Klänge, die Musik, die ich zuhause auch beim Joggen höre, haben wirklich Wunder gewirkt. Steiles Radfahren ist vergleichbar mit Joggen. Irgendwann kommt – zum Glück – der Punkt, an dem dann alles egal ist. Der Hintern tut nicht mehr weh, man sieht ein, dass man eh von oben bis unten dreckig ist, das letzte Taschentuch ist aufgebraucht – macht nichts! Ich hatte heute so gute Laune wie nie. Auch das kenne ich vom Joggen, irgendwann stellen sich Glücksgefühle ein, egal wie anstrengend es vorher war. Man muss nur dranbleiben und darf nicht zu schnell aufgeben. Manchmal singe ich ein bisschen mit, dann trete ich im Takt. Kurz vor unserem Ziel fängt es an zu regnen. Die ehemals pinken Fahrradschuhe, die durch die vielen Staubwolken der Piste eigentlich eher braun-grau waren, kommen wieder zum Vorschein. Unsere Gesichter sehen aus, als hätten wir im Matsch gespielt, der Regen macht es nicht unbedingt besser. Doch kurze Zeit später haben wir es geschafft. Wir stehen dreckverschmiert vor dem Eingangstor der Simba-Farm und umarmen uns.

Gerade liege ich frisch geduscht im Zelt. Ich fühle mich angenehm sauber. Die gewaschenen Kleidungsstücke hängen draußen im Wind zum Trocknen. Wir sind auf einer Farm, eine kleine Oase mitten im Nirgendwo gelandet. Die aus Namibia stammende Besitzerin hat niederländische Wurzeln und weiß uns absolut zu verwöhnen. Liebevoll sind terrassenartig Pflanzen und Wege angelegt. Selbstverständlich dürfen wir hier campen. Heute Abend, so verspricht sie uns, erwartet uns ein Drei-Gänge-Menü. ¨Vegetarier? kein Problem, wir haben unseren eigenen Gemüsegarten!¨ Wir freuen uns auf die Pause von Chipsis. Dazu gibt es Kilimanjaro-Bier, für dessen Brauprozess Hopfen von dieser Farm verwendet wird. Nach so einem Tag fühlt man sich ein bisschen wie nach einer anstrengenden Wanderung. Man ist froh und stolz, was man geschafft hat und wahrscheinlich hat Valentin damit Recht, dass man nur durch die vorausgegangenen Strapazen die kleinen Dinge so besonders genießen kann. Auch meine Sichtweise bzw. Erwartungshaltung hat sich schon ganz auf Afrika eingestellt. Als wir uns der Farm nähern, frage ich Valentin: “Meinst du, die haben fließendes Wasser?¨. Da auch in der größeren Stadt Arusha, die Ausgangspunkt für unsere Safari war, nur kaltes Wasser aus der Hoteldusche kam und am Abend der Strom ausgefallen ist, sodass uns der Besitzer eine Kerze ins Zimmer bringen musste, ist der Umstand, dass wir hier heute warm duschen konnten (geheizt mit Holz) und gleich sogar alle Akkus laden können, echter Luxus.

Am kommenden Morgen erkunden wir die Umgebung und wandern zu dem nahegelegenen Fluss, der die Felder mit Wasser speist. Auf unserem Weg durch den dichten Wald sehen wir verschiedene Affenarten.

Am späten Nachmittag macht der Besitzer mit uns eine Rundfahrt in seinem Jeep, um uns die Farm zu zeigen. Über 20 Quadratkilometer erstecken sich die Felder. Die Abendsonne taucht die Äcker mit den vertrockneten Stoppeln in ein goldenes Licht. In der Ferne steht mitten auf dem Feld eine kleine Kapelle. Diese haben die beiden Betreiber der Farm zu ihrer Hochzeit errichtet, auf den Grundmauern einer alten Kirche. Extra für ihre Hochzeit haben sie damals die umliegenden Felder mit einer weiß blühenden Blumenart bepflanzt, sodass der komplette Hang in weiß erblüht war.
Weiter geht die Fahrt vorbei an großen alten Eukalyptusbäumen, deren wunderbarer frischer Duft durch den zuvor gefallenen Regen noch intensiver ist, als sonst. Oben am Waldrand sehen wir schwarz verkohlte Bäume oder das, was davon übrig geblieben ist. Die Massai haben die Wälder in Brand gesetzt, um so mehr Land für ihre Herden zu haben, so vermutet der Farmbesitzer, der vergeblich ohne die Unterstützung der Feuerwehr versucht hat, mit seinen dreißig Mitarbeitern den Brand einzudämmen. In der vergangenen Nacht, so berichtet er uns, hat er 150 Kühe von seinem Feld abgefangen, die seine Ernte zerstörten. Konflikte mit der einheimischen Bevölkerung sind hier an der Grenze von Massai- und Nicht-Massaigebiet keine Seltenheit. Der Reichtum der Massai bemisst sich durch die Größe ihrer Herden und somit will jeder heranwachsende Krieger irgendwann möglichst viele eigene Rinder besitzen. Tansania ist das Land mit der zweitgrößten Rinderdichte – dass das Massai-Weideland irgendwann zu knapp wird, ist daher nicht verwunderlich.
Früher gab es in dieser Gegend auch wilde Elefantenherden, doch nun, da ein großer Teil des Waldes nicht nur hier, sondern auch um den Mount Meru herum durch die gelegten Feuer zerstört wurde, kommen sie nicht mehr in die Gegend.

Nach einem entspannten Tag in den gemütlichen Sesseln auf der Terrasse der Simba-Farm, von der wir den grandiosen Weitblick auf das Tal genießen, wird es nun wieder Zeit, die Schlafsäcke einzurollen und unser Abenteuer fortzuführen
Alle Akkus sind geladen, die Wäsche ist frisch gewaschen und wir sind beseelt von dem entspannten Pausetag, den freundlichen Betreibern der Farm und vor allem gestärkt durch Berge von frischem Essen: Hausgemachte Tomatensuppe, Kürbissuppe, Zucchinisuppe, frisch gebackenes Brot, Avocado-Salat mit köstlichem Dressing, grüner Spargel, Karotten, Paprika-Gemüse mit selbstgemachtem Paneer (Käse), alles aus dem angrenzenden Garten und von den Tieren der Farm. Zum Frühstück dann selbstgemachter Joghurt, Marmelade, Omelette, frische Milch, Müsli mit Obst und Pfannkuchen – wir sind im siebten Himmel!


4 Kommentare zu diesem Artikel

  1. Hallo zusammen,
    eine tolle Reise und prima Bericht.
    Genießt Eure gemeinsame Zeit trotz der
    vielen Strapazen.
    Denn es gibt kaum etwas Schöneres wenn man am Abend
    im Camp, Zelt oder Hotel angekommen ist und sagen kann,
    man hat die Etappe geschafft.
    Alle neuen Eindrücke und Begegnungen des Tages gehen einem noch mal durch den Kopf.
    Und das Beste daran ist, Ihr könnt diese Eindrücke miteinander bereden und teilen.
    Euch noch viel Spaß und Freude, immer Luft auf den Reifen, Wasser in den Flaschen,
    wenig Steigung dafür mehr Gefälle und etwas Rückenwind.

    Viele Grüße von Markus

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