Auf dem Weg zum Mount Fuji

Verfasst am

Nach so vielen Nächten in weichen Betten wird es Zeit, die Campingausrüstung hervorzukramen. Schließlich haben wir das Zelt und die Schlafsäcke nicht umsonst dabei! Da wir jetzt nach Kyoto keine größere Stadt mehr auf der Karte entlang unserer Route in Richtung Fuji passieren, bietet sich Wildcampen an. Neben den skandinavischen Ländern gehört Japan zu den wenigen Reisezielen, in denen das Zelten auch außerhalb von ausgewiesen Campingplätzen offiziell gestattet ist.
Von dem komfortabel ausgebauten Radweg beobachten wir in der Ferne Kinder beim Baseball-Turnier, was hier anscheinend Nationalsport ist.
Nach wenigen Kilometern geht es hinauf in die Berge. Wir passieren saftig grüne Tee-Plantagen, genießen die Aussicht auf die unter uns liegende Stadt und kämpfen uns Serpentine für Serpentine immer weiter nach oben.

Der Fahrtwind auf dem Weg nach unten ist angenehm kühl. Wir rollen in eine Ebene mit herrlich duftenden Reisfeldern hinab und finden auch wieder zahlreiche Supermärkte, bei denen wir unsere Vorräte aufstocken können. Als Belohnung für die Ansrengung gibt es eine Packung Matcha-Eis.

Improvisierter Müslitisch vorm Supermarkt

Improvisierter Müslitisch vorm Supermarkt

Je monotoner die Strecke, desto mehr Aufmerksamkeit bekomme ich von Valentin, da er sich dann nicht mehr aufs Navigieren konzentrieren braucht und wir viele neue Ideen schmieden können. Seien es neue Geschäftsideen oder Pläne für die Zukunft.
Nach sieben Stunden im Sattel wird es langsam Zeit die Füße hochzulegen, viel Zeit bleibt uns nicht mehr, denn es wird früh dunkel. Doch wo sollen wir unser Zelt aufbauen? Hier ist es überall sehr dicht besiedelt und nach der anstrengenden Fahrt brauchen wir undedingt einen Fluss zum Waschen. Der Gedanke an die nahende Erfrischung lässt mich weiter in die Pedale treten. Leider entpuppen sich die auf der Karte eingezeichneten Flüsse eher als matschige Bewässerungsgräben der Reisfelder. Darin zu baden würde uns nicht sauberer machen, als wir vorher waren. Als wir schon fast glauben nicht mehr fündig zu werden, entdecken wir ein Stück Wiese unweit der Straße an einem tatsächlich fließenden Fluss.
Kaum das Zelt aufgebaut, springen wir freudestrahlend ins Wasser. Wie sehr man sich doch an so einfachen Dingen wie einem Bad im Fluss erfreuen kann. Nur sollten wir uns beim nächsten Mal mehr beeilen, dann könnte man sich auch das nachträgliche Entfernen der Blutegel sparen. In den letzten Sonnenstrahlen lassen wir uns die mitgebrachten Sushi-Lunchboxen schmecken, bevor es ins Zelt geht.
Ganz so idyllisch wie das vielleicht klingen mag, ist es aufgrund der vielen Stechmücken, die uns hier plagen, jedoch nicht.

Ein Tropfen perlt an der Zeltwand hinab und weckt mich auf. In unserem Zelt herrscht mehr Luftfeuchtigkeit als in einem Gewächshaus, was sicher auch daran liegt, dass wir unsere Fahrradkleidung innen aufgehängt haben. Aromatherapie oder wahre Liebe? Jedenfalls haben wir genug geschlafen, mehr als 12 Stunden (um sechs wird es dunkel) hält man es liegend nicht aus. Trotzem kann ich sagen, dass wir in unserem kleinen Zelt sehr erholsam schlafen, ganz egal auf welchem Kontinent. Man hat sein Zuhause einfach dabei und Kakerlaken gibt es hier drinnen zumindest auch nicht.

Schnell ist alles wieder zusammen gepackt und wir zurück auf der Straße. Es dauert nicht lange, bis unsere Langnasen die nächste Bäckerei erschnüffeln. Heute gibt es Matcha-Schokobrötchen und ein Stückchen mit, wie so oft, Bohnenmus. Wenn das mal nicht nach einem vielversprechenden Tag klingt?
In Ise besuchen wir eine für Anhänger der Shintu-Religion besonders heilige Stätte (Ise-Jingu). Wir sind die einzigen europäischen Touristen hier. Was für uns einfach nach imposanten Holzhäusern aussieht, die malerisch in einem Wald liegen, beherbergt eigentlich das heiligste Heiligtum der dieser Naturreligion, der 80% der Japaner angehören. Was das genau ist, bleibt nicht nur für uns ein Rätsel, denn der Zutritt ist nur Wenigen gestattet. Man munkelt im Inneren des Schreins verbirgt sich ein Spiegel.

Unser Nachlager schlagen wir unweit der heiligen Anlage in einem Wald in der Nähe des Flussufers auf.
Als wir nachts direkt neben uns ein lautes Atemgeräusch hören, ist mein Puls bei 200. Ich setze mich ruckartig auf und das Tier, was auch immer es sein mag, springt mit einem tiefen Grunzgeräusch davon. Zu hören bleiben nur noch das Knacken von Holz und ein paar raschelnde Äste. Im Geiste gehe ich den Reiseführer durch. Hätte ich das “Flora und Fauna”-Kapitel mal nicht nur überflogen, dann wüsste ich, was das eben gewesen sein könnte. Zum Glück kann man sich mit den Kopfhörern und Hörbüchern auf andere Gedanken bringen. Ich beschließe das Zelt heute nicht mehr zu verlassen, egal wie schlimm das wird.

Am nächsten Morgen machen wir uns auf den Weg zur Fähre, die uns von Toba über die Meerenge bringt.
Das Meer sieht hier nicht sonderlich einladend aus. Es gibt keine Badestrände und der Wellengang ist hoch.
Nach zwei Tagen Wildcamping freuen wir uns auf ein Hotelzimmer, wo wir unsere Fahrradsachen waschen und vor allem auch dank der in den Zimmern vorhandenen Klimaanlagen oder Föne trocknen können. Um keine nasse Radlerhose anziehen zu müssen, stehen wir eine Stunde früher auf und föhnen abwechselnd die Hosen trocken.
Mit der Villa Hamanako fnden wir eine königliche Unterkunft. Bereits auf der Auffahrt sind wir von Sinatra-Musik umgeben, die aus versteckten Lautsprechern tönt. Ein bisschen kitschig, aber auch schön.
Wir sind in der großen Anlage fast die einzigen Gäste. Wieder stellen wir fest: Sich etwas Luxus zu gönnen, ist um so schöner, wenn man zuvor auf Komfort verzichtet hat.
Das Frühstück beinhaltet einen halben Zoo, dazu rohes Ei, genannt “japanische Marmelade”, Suppe mit Knorpeln und einige weitere undefinierbare Köstlichkeiten, die ich heimlich auf Valentins Tablett schiebe. Selbst vegetarischer Algensalat ist so früh am Morgen irgendwie nicht so mein Fall. Aber ich versuche mich daran zu gewöhnen.
Zunehmen werde ich in diesem Urlaub zumindest nicht.

Villa Hamanako

Villa Hamanako

Die nächsten Tage auf unserem Weg zum Mount Fuji sind abwechslungsreich, nicht nur von der Landschaft, sondern auch das Wetter kann an einem Tag noch schwül heiß sein und am kommenden Tag fahren wir stundenlang durch Nebel und Sprühregen mit einer Sichtweite von wenigen Metern. Wenn der Regen stärker wird, stellen wir uns unter. Wir sitzen zusammengekauert in Regenjacke, Regenhose und Überschuhen auf einer überdachten Treppe eines Bürogebäudes und warten, bis der Regen wieder etwas nachlässt. Um die Ecke kommmt schüchtern eine Mitarbeiterin mit einem Tablett in der Hand, darauf zwei kleine Becher Kaffee, Milch und Zucker.
Wir haben uns gerade bedankt, da hat uns ein weiterer netter LKW-Fahrer entdeckt. Er drückt uns eine Tüte mit Kakis in die Hand, die hier überall angebaut werden. Wir freuen uns über die netten Aufmerksamkeiten und nehmen uns vor dem nächsten Japaner in Deutschland, der genau so verloren aussieht, wie wir vermutlich gerade aussehen, auch etwas Gutes zu tun.


Ein Kommentar zu diesem Artikel

  1. Zu später Stunde erfreue ich mich an Euren schönen Berichten. Danke. Euch noch eine schöne Zeit und gute Heimkehr.
    Grüße Reinhard

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *