In Kyoto

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Flussradweg nach Kyoto

Über einen wunderbaren Flussradweg verlassen wir Nara und tauchen langsam und ohne Lärm von innen hinein nach Kyoto, quasi eine Radfahrerinjektion in die pulsierende Aorta des Landes, gespickt mit Sehenswürdigkeiten, Historie und Moderne. Wie immer klebt die Kleidung am Körper, es ist warm und dampfig durch den häufigen Regen. Ein Tag ohne Niederschlag ist momentan so unwahrscheinlich, wie ein Japaner, der sich bei unserem Betreten eines Supermarktes, Bäckers oder Restaurants nicht ehrführchtig verneigt und einen zehnzeiligen Reim zu unserem Willkommen vom Stapel lässt.
Wir beziehen ein schäbiges Airbnb-Quartier, weil wir den clever geschossenen Bildern in der Anzeige auf den Leim gegangen sind. Eine Luftfeuchtigkeit wie ein Dampfbad, Fenster in den Abluftschacht, lange schwarze Haare von meiner Vorschläferin im traditionell-harten Bett, das Bad aus Plastikguss und, mein persönlicher Favorit, der hellblaue Langhaarflokati auf der Klobrille. Aber ein langer Aufenthalt ist ohnehin nicht eingeplant, ein Bruchteil der sonst empfohlenen Kyoto-Sightseeing-Zeit. Dementsprechend straff ist das Programm, passend zu den Waden.

Mit dem Fahrrad durch die Dreimillionen-Metropole und am Ankunftstag direkt noch zum Kinkaku-ji, dem goldenen Pavillon und einem der bekanntesten japanischen Postkartenmotive. Es folgt ein anderes Highlight, Fushimi-Inari Taisha, ein Schrein versteckt im Wald und nur über kilometerlange Treppen zu erreichen. Wie Lemminge schieben und keuchen sich die nahezu ausnahmslos einheimischen Besucher hinauf und passieren jeden Meter einen orangenen Torbogen. Bemerkenswert ist die Hingabe der Japaner. Sie zelebrieren ihren Glauben öffentlich, klatschen in die Hände, sprechen Wünsche aus und sind sichtlich glücklich an einer heiligen Stätte zu sein.

Kinkaku-ji

Tempel in Kyoto

Für uns unlesbare japanische Schriftzeichen sind überall, nur sehr Weniges ist übersetzt. Daher freue ich mich wie ein Japaner über Seetangsushi, wenn ich etwas zu lesen finde. So auch eine Hinweistafel, die die zwei Leben in der japanischen Lebensweise erklärt. Das eine Leben ist das Alltagsleben mit Arbeit, Wäsche waschen, Besorgungen. Es ist nicht so wichtig, wie lang oder wie angenehm dieser Teil ist. Denn es gibt noch das andere Leben, das der Spritualität, der Freizeit, der Familie. Dieser Teil ist sehr bedeutsam und relativiert einen unvollkommenen Alltag. Er muss langsam und intensiv gelebt und ausgekostet werden. Hierher rührt die gemächliche und besonnene Ruhe der Japaner in heiligen Stätten.

Wir passieren das wunderschöne und traditionelle Viertel Gion, entdecken Geishas, essen eine vor unseren Nasen zubereitete Suppe mit frittiertem Gemüse im urigen Restaurant (Suppe essen mit Stäbchen ist… interessant) und beobachten Passanten aus einem Cafe, während wir Matcha-Tee trinken. Kurzum: eine schöne Zeit. Sehr abwechslungsreich und intensiv, genau wie wir es mögen. Und straff, wie die Waden eben.

Geishas in Kyoto

Geishas in Kyoto


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