Alpe Adria zu viert

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Es war klar, dass wir über kurz oder lang wieder auf Tour gehen müssen. „Back on the road“ ist unser juchzender Schlachtruf, wenn die Reifen wieder über den Asphalt surren. Aber etwas mulmig war uns schon, als uns von hier und da kritische und warnende Stimmen aufgrund Sarahs stetig anwachsender Körpermitte erreichten. Aber die Frauenärztin gab Entwarnung: Mit ein bisschen Vorsicht ist eine Fahrradreise auch im siebten Schwangerschaftsmonat machbar.

Ich sorge mit einem erhöhten Lenker für eine aufrechtere Sitzposition, dazu gibt es eine gefederte Sattelstütze und wir reduzieren die geplante Tagesetappenlänge auf humane 60 km.
Zudem sind wir längere Zeit nicht mehr als 20 km am Tag zusammen mit Louis gefahren und so sind wir uns ziemlich unsicher, ob er überhaupt noch d’accord damit ist längere Zeit im Anhänger mitzufahren oder ob das für einen Zweieinhalbjährigen nicht schon zu langweilig wird.

Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Die Entscheidung den Radweg „Alpe Adria“ zu fahren, hat nicht mehr als einen Abend Recherche gekostet und auch die Ausrüstungsvorbereitung ging ruck-zuck, da wir das ja alles irgendwie schon zig Male gemacht haben. Gefühlt kann man mit technologischem Fortschritt auch immer weniger Sachen einpacken: Kinderbücher gibt’s als App auf dem Handy, Taschenlampe ebenso und auch die kiloschwere Spiegelreflexkamera wird durch das mobile Telefon ersetzt.
Aber leicht ist dann doch irgendwie etwas anderes. Als ich Sarah und Louis mit dem Auto am Schloss Hellbrunn bei Salzburg absetze, um einen Parkplatz für zwei Wochen zu finden und das Tandem zu montieren und beladen, muss ich etwas lachen. In der Ebene fahre ich ohne Motorunterstützung und mit viel Anstrengung 14 km/h. Und da fehlen jetzt noch 3 weitere Mitfahrer. Das kann anstrengend werden!

Nach einem ausgiebigen Spielplatz-Aufenthalt im Schlosspark rollen wir mit unserem Road Train an der Salzach entlang in Richtung Süden. Die kommenden Tage sind geprägt von Hitze und Schweiß, Sommergewitter und Abkühlung, Gaskochernudeln und Eis, Spielplätzen und Radwegen, Zeltaufbau und viel Schlaf. Die Landschaft ändert sich ständig und mit jedem neuen Flusslauf und durchquertem Tal ergeben sich neue Eindrücke. Louis macht seinen Mittagsschlaf im Anhänger und wir können entspannt fahren. Jedenfalls wenn wir nicht ständig anhalten, um ihn einzucremen, einen Sonnenschutz zu bauen oder den immer wieder in irgendeine Richtung zusammenfallenden Körper zu richten. Es scheint ihm aber zumindest nichts auszumachen und er freut sich auch tierisch über die vielen großartigen Spiel-, Camping- und Badeplätze, die wir erreichen.

Als ich noch keine Kinder hatte, langweilten mich die ständigen Kindergeschichten von allen Seiten. Wo ich nun selbst in dieser Rolle stecke, kann ich das besser verstehen. Das Vatersein ist ein Teil von mir und gehört schon seit zwei Jahren zum Alltag. Es geht nicht mehr darum, wie ich möglichst weit und schnell fernradeln kann, sondern wie wir als Familien-Team alle gemeinsam eine gute Zeit miteinander haben. Und mitunter bedeutet das auch oft, dass ich dann glücklich bin, wenn es die Anderen sind. Und damit ist es dann auch vollkommen okay einem zufriedenen Sohn zwei Stunden lang dabei zuzusehen, wie er Blätter in einem Brunnen badet oder sich köstlich amüsiert, als er im Gewitter kurz vor dem rettenden Unterstand ein riesiges Hagelkorn mit der Hand in seinem Anhänger auffängt.

Nachdem wir auf einem Friedhof das Ende des ersten Regenschauers der Reise erwarten, passieren wir im Nieselregeln die Grenze nach Italien, nehmen uns ein Hotelzimmer in Tarvis und gönnen uns zwei große Holzofenpizzen als Willkommensgeschenk. Die Wettervorhersage für den nächsten Tag ist grauenhaft: von morgens bis abends Starkregen und Gewitter. Wir überlegen lange und entscheiden uns dann aber doch nicht den ganzen Tag drinnen verbringen zu wollen. Das Vagabundendasein hat uns wieder eingeholt.

Der Regen beginnt sobald wir uns auf das Rad setzen und hört den ganzen Tag nicht mehr auf. 60 km lang fahren wir auf einer stillgelegten Bahntrasse, die zu einer Fahrrad-Autobahn umgebaut wurde: zweispurig mit Mittelstreifen. Und trotz absolutem Schmuddelwetter sind hier so viele Radler unterwegs, wie im Sommer am Frankfurter Mainufer. Die Bahntrasse folgt dem Fluss Fella und bietet atemberaubende Ausblicke von exponierten Stellen und führt über hohe Brücken und durch zahlreiche Tunnel, die manchmal beleuchtet sind und manchmal auch nicht. Diese Etappe ist wahnsinnig toll, aber leider können wir sie nur begrenzt genießen, weil der Regen so stark ist, dass an Anhalten nicht zu denken ist. Dabei ist der Fluss mit seinem kristallklar-türkisen Wasser so herrlich einladend zum Herumplanschen. Louis bekommt nicht viel davon mit, denn er schläft zufrieden im Anhänger, während wir mit 35 km/h die leicht abschüssige Strecke hinunterrollen. Erst als wir uns in Venzone eine Unterkunft suchen, merken wir, dass auch im Anhänger bei Louis Füßen das Wasser 5 cm hoch steht.

Man kann es sich manchmal nicht vorstellen, wenn man völlig durchnässt und kalt auf dem Fahrrad durch starken Regen fährt, aber eine Stunde später sitzen wir heiß geduscht auf einer Bank in der Sonne vor einem kleinen Häuschen in der Altstadt mit Innenhof – komplett für uns und für einen Spottpreis. Es ist der Tag mit dem schlimmsten Wetter, aber dafür komischerweise mit der besten Stimmung, zu der die 60-cm-Pizza und das leckere Eis mit hausgemachten Waffeln zusätzlich beitragen.

Wir haben die Berge nun hinter uns gelassen und erreichen erst Udine und dann unseren Zielort Grado in zwei sonnigen und richtig heißen Etappen. Die Sonne brennt auf den Asphalt, die Straßen sind leergefegt. Mittags versucht jeder der brütenden Hitze zu entgehen. Nur wir sitzen auf dem Rad: Mittagszeit ist Schlafenszeit. Für eine lange Kinderschlafphase muss der Anhänger schunkeln und wippen. Immerhin – der Fahrtwind kühlt und nach dem Aufwachen wartet auch irgendwo meist schon ein superleckeres italienisches Eis auf uns drei.

Campingplätze an touristisch weniger erschlossenen Stellen sind in Italien ein rares Gut. Daher ist unser Plan bei „Agritourismos“, übersetzt etwa „Landwirtschafts-Hotel“, vorbeizuradeln und zu fragen, ob wir hier einfach unser Zelt aufbauen können. Beim zweiten Versuch haben wir Erfolg und schlafen auf einer riesigen Wiese direkt neben den Weinreben. Leider passen wir nur eine Minute beim Zeltaufbau nicht auf, während Louis sich im Garten umschaut, und dann sehen wir das Schlamassel: 20 Mückenstiche im ganzen Gesicht. Riesige rote Flecken – ein richtiger Streuselkuchen.

Der Weg von Udine nach Grado ist zwar gut beschildert und verkehrsarm, aber nicht besonders spannend, gerade wenn man aus den Bergen kommt, wo gefühlt hinter jeder Ecke ein neues Highlight für das Auge wartet. Wir versuchen also Strecke zu machen und erreichen die Urlaubsinsel mit ihren vielen Campingplätzen, Hotelclubs und eingezäunten Strandabschnitten mit Eintrittsgebühr.
Unser Campingplatz liegt in einem schönen Pinienwald am Meer, hat drei Pools mit Wasserrutschen und viele Spielgeräte. Auch 20 Meter weit im Wasser ist das Meer hier nur knietief, also optimal für ein paar Tage Kinderwasserspaß zum Ende einer ereignisreichen Reise. Es waren zwar nur anderthalb Wochen, aber wir haben wieder gemerkt wie gerne wir unterwegs sind und jeden Tag neue Dinge sehen und erleben. Louis hat das Radfahren ohne Meckern gut mitgemacht und wir ihm dafür viel Action abseits des Fahrrads ermöglicht. Einzig die zunehmenden Kleinkind-Autonomie-Anfälle waren ab und an etwas anstrengend.

Fazit: Der Alpe-Adria-Radweg ist super ausgebaut, bietet tolle Angebote entlang der Strecke, ist enorm abwechslungsreich und auch mit Kleinkind im Gepäck definitiv eine Empfehlung wert. Würden wir immer wieder so machen!


3 Kommentare zu diesem Artikel

  1. Grandios, nicht jeder ist so mutig wie ihr und der Kommentar ist einfach mit einer 1 zu bewerten.
    Lieb Grüße
    Irena

  2. Viele Grüße an die ganze Familie auch von mir. Schön, mal wieder einen Bericht von dir zu lesen, Valli. Vieles in im steten Wandel, aber eins scheint sich nie zu ändern: Das Essen muss gut sein! :-)

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