Vom Gebirge in das Weltreich

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Wasser prasselt auf das Zeltdach hinab. Ich liege im durchgewärmten Schlafsack und schaue auf die Uhr: Aufstehenszeit. Ich öffne die Reißverschlüsse und riskiere einen Blick nach draußen. Der Himmel ist dunkelbraun, fast schwarz, auf der Straße staut sich das Wasser und es regnet weiterhin in Strömen. Wir befinden uns in einem Tal, das von einer kirgisischen Passstraße durchschnitten wird, in dem sich neben reißendem Fluss und Straße nur schwerlich ein ebener Platz für die Zelte finden lässt. Mein Blick wandert talaufwärts und auch dort sieht man nur Nebelschleier und im Vordergrund Grashalme, an deren Spitzen sich Wassertropfen sammeln. Selbst dem Grashüpfer ist es zu ekelhaft, daher gesellt er sich lieber zu mir ins Trockene.
Ich drehe mich noch einmal um und wache erst zwei Stunden später wieder auf. Wir nutzen eine kurze Regenpause, um die Zelte einzupacken und die Fahrräder für den Tag fertig zu machen. Meine Stimmung ist etwas getrübt, denn eigentlich liegt heute ein Highlight vor uns. Der 3615m hohe Taldyk-Pass ist der höchste Punkt unserer Reise und soll eine wunderschöne Aussicht bieten. Mit Regen und unasphaltiert-schlammiger Straße und die Aussicht störender Nebelsuppe ist das natürlich nur halb so schön. Nichtsdestotrotz beginnen wir den Anstieg, der sich insgesamt über fast 100 Kilometer hinzieht.

Bereits am Vortag starteten wir von Osh in die Berge. Wir sahen traumhafte Landschaften, grüne Felder, Nomaden, Jurten und umherwandernde Esel, Pferde, Schaf- und Kuhherden. Die Kirgisen unterscheiden sich optisch sehr von den Menschen unserer zuletzt besuchten Länder. Ich finde sie sind zentralasiatisch mit einem chineischen Touch. Und sehr anmutig sehen sie aus, wenn sie als Nomaden auf ihrem großen Pferd sitzend über die Felder stolzieren.

Wir entscheiden uns noch einen Tag am Fuße des Passes zu warten, in der Hoffnung auf besseres Wetter am kommenden Morgen. Die Entscheidung war richtig, morgens ist keine Wolke am Himmel und so kriechen wir die Passstraße, die nur aus einem geschotterten Weg besteht, langsam hinauf. Chinesische Arbeiter und schwere Maschinerie sind hier anzufinden, da man versucht die Handelsrouten nach Westen auszubauen. Die Kirgisen freuen sich über das Engagement, denn so kommen sie zu einer besseren Infrastuktur.
Den ganzen Tag bewegen wir uns auf über 3000m Höhe und fahren durch ziemlich einsame Landschaften. Um uns herum sind noch viel höhere Berge, die Kuppen sind schneebedeckt und ich fühle mich ziemlich klein und nichtig bei dieser Gewaltigkeit der Natur. Nur ab und an gibt es ein paar Nomadenjurten, erstaunlich oft steht daneben ein Audi oder Mercedes. Das ist also der moderne Nomade. Kochen mit Holz, Wasser aus dem Gebirgsbach, keinen Stromanschluss und immer den Launen der Natur ausgesetzt. Aber ein solides deutsches Auto kann man dann doch fahren. Vielleicht zum Friseur in die 200 Kilometer entfernte Stadt, um die neuesten Rezepte für vergorene Stutenmilchbällchen auszutauschen?

Wir fahren ein paar Tage zusammen mit Jonathan, einem belgischen Radfahrer in meinem Alter. Er ist seit neun Monaten unterwegs und hat nur kurz bevor die Aufstände in den nordafrikanischen Ländern begannen, eben diese durchquert. Zu dritt passieren wir die chinesische Grenze und wir sind alle ein wenig gerührt. Wir haben das letzte Land unserer Reise erreicht. Es gibt keine weiteren Grenzübertritte und wir sind erfreut, dass unser Vorhaben doch erfolgreich war. Noch immer sind wir auf enormer Höhe unterwegs und kurioserweise stellt die Grenze zwischen Kirgistan und China auch eine Veränderung von Landschaft und Temperatur da. Rotbraunes Gestein in steppenähnlicher Umgebung dominiert nun das Bild. Im weit entfernten Hintergrund kann man ab und an einen Blick auf schneebedeckte Berge erhaschen und auch warm ist es endlich wieder.
Wir sind abgesehen von einer Hand voll Lastwagen die einzigen Benutzer der Straße, die über zweihundert Kilometer durch nicht viel anderes als einsame Natur führt.

Kurzes Frühstück am Straßenrand beim Irkeshtam-Pass

Ein ziemlich schäbiger Grenzposten für so ein großes Land

Reifenpannen (die fünfte bisher) passieren natürlich immer dann, wenn man ohnehin schon von vielen Leuten umringt wird

Schließlich erreichen wir Kashgar an einem Kreuzungspunkt der alten Seidenstraße. Nach Tagen in Einsamkeit und fast unberührter Natur bin ich vom Leben in den Straßen, den wuselnden Chinesen und der vorhandenen Infrastruktur ein wenig überwältigt.


Ein Kommentar zu diesem Artikel

  1. Mmmh,also wenn ich die ganzen Essensbilder sehe fange ich an zu überlegen was ich dir als Begrüßungsessen auftischen kann. Wie wäre es denn mit echt hessischen Rippchen mit Kraut?
    Wir freuen uns sehr auf dich,lG Claudia

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